Amsterdammer erwartet. Das Gebäude hat einen sehr mittelmäßigen Werth, die Säulen an der Fronte sind gegen die geringe Breite von einer rie- senmäßigen Höhe, die Treppe ist sehr kleinlich, wie in einem gemeinen Bürgerhause, und außer der Sammlung physikalischer und astronomischer In- strumente scheint mir noch vieles sehr unvollkom- men. Die Abgüsse der Antiken sind in verkleinern- dem Maßstab, und meistens sehr mittelmäßig. -- Nichts thut mir weher, wie diese Gestalten verun- ehrt zu sehen. Diese Götter, mit denen ich meine Kindheit verlebte, die meiner Jugend Erhabenheit lehrten, und die meinem Alter Jugendfreude wie- der geben, wo ich sie finde -- Apoll mit seiner Götterklarheit, Venus mit dem Geiste der Keusch- heit umflossen und Laokoon in seinem ungeheuern Schmerz -- hier stehen sie in einem länglichen engen Zimmer in gedrängten Reihen an die Wände gedrückt, nur von wenigen Fenstern an der schma- len Seite beleuchtet. Die Zucht hat die Aufseher zu der ehrbaren Nothhülfe die Zuflucht nehmen lassen, die unsre Voreltern nach dem Sündenfall erfanden. Wenn man die Jugend zur Kunst bil- den will, sollte man da nicht voraussetzen, daß diese heilige Göttin eben so wenig fähig ist, Unan-
Amſterdammer erwartet. Das Gebaͤude hat einen ſehr mittelmaͤßigen Werth, die Saͤulen an der Fronte ſind gegen die geringe Breite von einer rie- ſenmaͤßigen Hoͤhe, die Treppe iſt ſehr kleinlich, wie in einem gemeinen Buͤrgerhauſe, und außer der Sammlung phyſikaliſcher und aſtronomiſcher In- ſtrumente ſcheint mir noch vieles ſehr unvollkom- men. Die Abguͤſſe der Antiken ſind in verkleinern- dem Maßſtab, und meiſtens ſehr mittelmaͤßig. — Nichts thut mir weher, wie dieſe Geſtalten verun- ehrt zu ſehen. Dieſe Goͤtter, mit denen ich meine Kindheit verlebte, die meiner Jugend Erhabenheit lehrten, und die meinem Alter Jugendfreude wie- der geben, wo ich ſie finde — Apoll mit ſeiner Goͤtterklarheit, Venus mit dem Geiſte der Keuſch- heit umfloſſen und Laokoon in ſeinem ungeheuern Schmerz — hier ſtehen ſie in einem laͤnglichen engen Zimmer in gedraͤngten Reihen an die Waͤnde gedruͤckt, nur von wenigen Fenſtern an der ſchma- len Seite beleuchtet. Die Zucht hat die Aufſeher zu der ehrbaren Nothhuͤlfe die Zuflucht nehmen laſſen, die unſre Voreltern nach dem Suͤndenfall erfanden. Wenn man die Jugend zur Kunſt bil- den will, ſollte man da nicht vorausſetzen, daß dieſe heilige Goͤttin eben ſo wenig faͤhig iſt, Unan-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0216"n="202"/>
Amſterdammer erwartet. Das Gebaͤude hat einen<lb/>ſehr mittelmaͤßigen Werth, die Saͤulen an der<lb/>
Fronte ſind gegen die geringe Breite von einer rie-<lb/>ſenmaͤßigen Hoͤhe, die Treppe iſt ſehr kleinlich, wie<lb/>
in einem gemeinen Buͤrgerhauſe, und außer der<lb/>
Sammlung phyſikaliſcher und aſtronomiſcher In-<lb/>ſtrumente ſcheint mir noch vieles ſehr unvollkom-<lb/>
men. Die Abguͤſſe der Antiken ſind in verkleinern-<lb/>
dem Maßſtab, und meiſtens ſehr mittelmaͤßig. —<lb/>
Nichts thut mir weher, wie dieſe Geſtalten verun-<lb/>
ehrt zu ſehen. Dieſe Goͤtter, mit denen ich meine<lb/>
Kindheit verlebte, die meiner Jugend Erhabenheit<lb/>
lehrten, und die meinem Alter Jugendfreude wie-<lb/>
der geben, wo ich ſie finde — Apoll mit ſeiner<lb/>
Goͤtterklarheit, Venus mit dem Geiſte der Keuſch-<lb/>
heit umfloſſen und Laokoon in ſeinem ungeheuern<lb/>
Schmerz — hier ſtehen ſie in einem laͤnglichen<lb/>
engen Zimmer in gedraͤngten Reihen an die Waͤnde<lb/>
gedruͤckt, nur von wenigen Fenſtern an der ſchma-<lb/>
len Seite beleuchtet. Die Zucht hat die Aufſeher<lb/>
zu der ehrbaren Nothhuͤlfe die Zuflucht nehmen<lb/>
laſſen, die unſre Voreltern nach dem Suͤndenfall<lb/>
erfanden. Wenn man die Jugend zur Kunſt bil-<lb/>
den will, ſollte man da nicht vorausſetzen, daß<lb/>
dieſe heilige Goͤttin eben ſo wenig faͤhig iſt, Unan-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[202/0216]
Amſterdammer erwartet. Das Gebaͤude hat einen
ſehr mittelmaͤßigen Werth, die Saͤulen an der
Fronte ſind gegen die geringe Breite von einer rie-
ſenmaͤßigen Hoͤhe, die Treppe iſt ſehr kleinlich, wie
in einem gemeinen Buͤrgerhauſe, und außer der
Sammlung phyſikaliſcher und aſtronomiſcher In-
ſtrumente ſcheint mir noch vieles ſehr unvollkom-
men. Die Abguͤſſe der Antiken ſind in verkleinern-
dem Maßſtab, und meiſtens ſehr mittelmaͤßig. —
Nichts thut mir weher, wie dieſe Geſtalten verun-
ehrt zu ſehen. Dieſe Goͤtter, mit denen ich meine
Kindheit verlebte, die meiner Jugend Erhabenheit
lehrten, und die meinem Alter Jugendfreude wie-
der geben, wo ich ſie finde — Apoll mit ſeiner
Goͤtterklarheit, Venus mit dem Geiſte der Keuſch-
heit umfloſſen und Laokoon in ſeinem ungeheuern
Schmerz — hier ſtehen ſie in einem laͤnglichen
engen Zimmer in gedraͤngten Reihen an die Waͤnde
gedruͤckt, nur von wenigen Fenſtern an der ſchma-
len Seite beleuchtet. Die Zucht hat die Aufſeher
zu der ehrbaren Nothhuͤlfe die Zuflucht nehmen
laſſen, die unſre Voreltern nach dem Suͤndenfall
erfanden. Wenn man die Jugend zur Kunſt bil-
den will, ſollte man da nicht vorausſetzen, daß
dieſe heilige Goͤttin eben ſo wenig faͤhig iſt, Unan-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/216>, abgerufen am 12.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.