aus dem Fenster, um die niedliche Figur, die schnell vorüberstreichen wird, noch länger zu sehen. Mit dem wunderbaren Leben, an das doch kein bestimmtes Interesse, ein dramatisches Interesse möcht ich es nennen, wenn ich nicht fürchtete ei- nen Kunstausdruck falsch zu gebrauchen, -- ge- kuüpft ist, kann ich die Zeit, welche ein solches Kunstwerk dem Künstler kostet, gar nicht verbin- den; ich fasse nicht, wie sein Pinsel diese wandeln- den Scenen so allmählig dahin arbeiten konnte; sie scheinen nur die Schöpfungen eines Augenblicks seyn zu können, so wie in diesen Gestalten allen nur der Augenblick geschildert ist. Der Kenner muß an diesem herrlichen Gemählde einen uner- schöpflichen Schatz von Kunst bewundern können, ich muß wie Padridge erstaunen, daß die Menschen da so natürlich wie die wirklichen Menschen auf dem Markt herum gehen. Fortan gehe ich gewiß Abends vor keinem Volkshaufen mehr vorbei, ohne Figuren aus diesem unvergleichlichen Rembrand zu suchen, und wenn mir ein blondes Köpfchen mit neugierigen Augen vorkommt, so mag sie ja so hübsch seyn, wie das Mädchen im gelben Leib- kleide, das aus Rembrands Bilde heraus guckt, sonst zerstört sie meine Täuschung. Diesem Ge-
aus dem Fenſter, um die niedliche Figur, die ſchnell voruͤberſtreichen wird, noch laͤnger zu ſehen. Mit dem wunderbaren Leben, an das doch kein beſtimmtes Intereſſe, ein dramatiſches Intereſſe moͤcht ich es nennen, wenn ich nicht fuͤrchtete ei- nen Kunſtausdruck falſch zu gebrauchen, — ge- kuuͤpft iſt, kann ich die Zeit, welche ein ſolches Kunſtwerk dem Kuͤnſtler koſtet, gar nicht verbin- den; ich faſſe nicht, wie ſein Pinſel dieſe wandeln- den Scenen ſo allmaͤhlig dahin arbeiten konnte; ſie ſcheinen nur die Schoͤpfungen eines Augenblicks ſeyn zu koͤnnen, ſo wie in dieſen Geſtalten allen nur der Augenblick geſchildert iſt. Der Kenner muß an dieſem herrlichen Gemaͤhlde einen uner- ſchoͤpflichen Schatz von Kunſt bewundern koͤnnen, ich muß wie Padridge erſtaunen, daß die Menſchen da ſo natuͤrlich wie die wirklichen Menſchen auf dem Markt herum gehen. Fortan gehe ich gewiß Abends vor keinem Volkshaufen mehr vorbei, ohne Figuren aus dieſem unvergleichlichen Rembrand zu ſuchen, und wenn mir ein blondes Koͤpfchen mit neugierigen Augen vorkommt, ſo mag ſie ja ſo huͤbſch ſeyn, wie das Maͤdchen im gelben Leib- kleide, das aus Rembrands Bilde heraus guckt, ſonſt zerſtoͤrt ſie meine Taͤuſchung. Dieſem Ge-
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aus dem Fenſter, um die niedliche Figur, die
ſchnell voruͤberſtreichen wird, noch laͤnger zu ſehen.
Mit dem wunderbaren Leben, an das doch kein
beſtimmtes Intereſſe, ein dramatiſches Intereſſe
moͤcht ich es nennen, wenn ich nicht fuͤrchtete ei-
nen Kunſtausdruck falſch zu gebrauchen, — ge-
kuuͤpft iſt, kann ich die Zeit, welche ein ſolches
Kunſtwerk dem Kuͤnſtler koſtet, gar nicht verbin-
den; ich faſſe nicht, wie ſein Pinſel dieſe wandeln-
den Scenen ſo allmaͤhlig dahin arbeiten konnte;
ſie ſcheinen nur die Schoͤpfungen eines Augenblicks
ſeyn zu koͤnnen, ſo wie in dieſen Geſtalten allen
nur der Augenblick geſchildert iſt. Der Kenner
muß an dieſem herrlichen Gemaͤhlde einen uner-
ſchoͤpflichen Schatz von Kunſt bewundern koͤnnen,
ich muß wie Padridge erſtaunen, daß die Menſchen
da ſo natuͤrlich wie die wirklichen Menſchen auf
dem Markt herum gehen. Fortan gehe ich gewiß
Abends vor keinem Volkshaufen mehr vorbei, ohne
Figuren aus dieſem unvergleichlichen Rembrand
zu ſuchen, und wenn mir ein blondes Koͤpfchen
mit neugierigen Augen vorkommt, ſo mag ſie ja
ſo huͤbſch ſeyn, wie das Maͤdchen im gelben Leib-
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ſonſt zerſtoͤrt ſie meine Taͤuſchung. Dieſem Ge-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/183>, abgerufen am 29.11.2024.
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