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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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papierne Zeitalter eingetreten wäre. Die kräfti-
gen einfachen Züge sind seltner geworden, und
haben dem, was man Phisiognomie nennt, Platz
gemacht. An den Gesichtern jener Zeit muß ich
so vieles verändern, bis ich sie mir bei einer tri-
vialen Beschäftigung denke. So ein Moritz von
Oranien, ein de Witt -- geht auch zu andern
Völkern über -- Algernon, von der Flühe, de
Thou nehmt irgend eine Schilderei aus alten Ge-
schichtsbüchern, und denkt euch die klaren, großen,
offnen Züge mit einem Musenalmanach in der
Hand, oder das Seidekästchen an dem Stickrah-
men einer schönen Dame durchstöbernd -- es geht
nicht! der Mensch guckt euch mit festem Blick an
und rührt sich nicht vom Fleck. Nehmt dagegen
unsre Männer seit jener Zeit, und es wird euch
keiner wunderlich vorkommen, wenn er ein Riech-
fläschchen hält, oder einer Donna den Ridikül
nachträgt. So recht links, recht tölpisch, recht
plump kann ich mir jene vorstellen, lächerlich und
puppisch nie.

Keines dieser Gesichter überraschte mich mehr,
wie Egmonts. -- Ach das ist nicht der glühend-
muthige, leichtherzig genießende, Kummer ab-
schüttelnde Mann, der in der Blüthe der Kraft

papierne Zeitalter eingetreten waͤre. Die kraͤfti-
gen einfachen Zuͤge ſind ſeltner geworden, und
haben dem, was man Phiſiognomie nennt, Platz
gemacht. An den Geſichtern jener Zeit muß ich
ſo vieles veraͤndern, bis ich ſie mir bei einer tri-
vialen Beſchaͤftigung denke. So ein Moritz von
Oranien, ein de Witt — geht auch zu andern
Voͤlkern uͤber — Algernon, von der Fluͤhe, de
Thou nehmt irgend eine Schilderei aus alten Ge-
ſchichtsbuͤchern, und denkt euch die klaren, großen,
offnen Zuͤge mit einem Muſenalmanach in der
Hand, oder das Seidekaͤſtchen an dem Stickrah-
men einer ſchoͤnen Dame durchſtoͤbernd — es geht
nicht! der Menſch guckt euch mit feſtem Blick an
und ruͤhrt ſich nicht vom Fleck. Nehmt dagegen
unſre Maͤnner ſeit jener Zeit, und es wird euch
keiner wunderlich vorkommen, wenn er ein Riech-
flaͤſchchen haͤlt, oder einer Donna den Ridikuͤl
nachtraͤgt. So recht links, recht toͤlpiſch, recht
plump kann ich mir jene vorſtellen, laͤcherlich und
puppiſch nie.

Keines dieſer Geſichter uͤberraſchte mich mehr,
wie Egmonts. — Ach das iſt nicht der gluͤhend-
muthige, leichtherzig genießende, Kummer ab-
ſchuͤttelnde Mann, der in der Bluͤthe der Kraft

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[166/0180] papierne Zeitalter eingetreten waͤre. Die kraͤfti- gen einfachen Zuͤge ſind ſeltner geworden, und haben dem, was man Phiſiognomie nennt, Platz gemacht. An den Geſichtern jener Zeit muß ich ſo vieles veraͤndern, bis ich ſie mir bei einer tri- vialen Beſchaͤftigung denke. So ein Moritz von Oranien, ein de Witt — geht auch zu andern Voͤlkern uͤber — Algernon, von der Fluͤhe, de Thou nehmt irgend eine Schilderei aus alten Ge- ſchichtsbuͤchern, und denkt euch die klaren, großen, offnen Zuͤge mit einem Muſenalmanach in der Hand, oder das Seidekaͤſtchen an dem Stickrah- men einer ſchoͤnen Dame durchſtoͤbernd — es geht nicht! der Menſch guckt euch mit feſtem Blick an und ruͤhrt ſich nicht vom Fleck. Nehmt dagegen unſre Maͤnner ſeit jener Zeit, und es wird euch keiner wunderlich vorkommen, wenn er ein Riech- flaͤſchchen haͤlt, oder einer Donna den Ridikuͤl nachtraͤgt. So recht links, recht toͤlpiſch, recht plump kann ich mir jene vorſtellen, laͤcherlich und puppiſch nie. Keines dieſer Geſichter uͤberraſchte mich mehr, wie Egmonts. — Ach das iſt nicht der gluͤhend- muthige, leichtherzig genießende, Kummer ab- ſchuͤttelnde Mann, der in der Bluͤthe der Kraft

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/180>, abgerufen am 28.11.2024.