zertheilt wird, ists nicht, was mich betrübt, daß statt alten Sitten neue eintreten, ists auch nicht, aber ich vermisse einen gleichen Fortschritt der all- gemeinen Bildung mit der allgemeinen Verfeine- rung -- denn Verfeinerung neunt man es ja! -- Ist das überall so, wo man die Fortschritte der Verfeinerung so deutlich verfolgen kann? Mir däucht, die Deutschen wären so glücklich gewesen bei der überhandnehmenden Verfeinerung, auch eine allgemeinere Verbreitung von Kenntnissen zu genießen -- ich erinnere mich noch sehr wohl, wie meine Großmutter sich kleidete, ihres Geräthes, ihrer Gesellschaft, ihres Tons -- aber wenn das alles jetzt anders ist, so erinnere ich mich auch was sie für Vorurtheile hatte, was man damals nicht wußte, nicht lernte, nicht dachte, was damals ganz zu denken verboten war, was nur der Spe- knlation erlaubt war. -- Ob wir darum jetzt bes- ser daran sind? das muß das nächste Geschlecht ausweisen. Daß der Luxus des Jahrs 1809 mit den Ansichten und Begriffen von 1770 verbunden, ein sehr unerfreuliches Gemälde darstellt, habe ich wahrgenommen.
Unter den zahllosen Kramläden, die hier oft ganze Straßen lang fortlaufen, befindet sich in der
zertheilt wird, iſts nicht, was mich betruͤbt, daß ſtatt alten Sitten neue eintreten, iſts auch nicht, aber ich vermiſſe einen gleichen Fortſchritt der all- gemeinen Bildung mit der allgemeinen Verfeine- rung — denn Verfeinerung neunt man es ja! — Iſt das uͤberall ſo, wo man die Fortſchritte der Verfeinerung ſo deutlich verfolgen kann? Mir daͤucht, die Deutſchen waͤren ſo gluͤcklich geweſen bei der uͤberhandnehmenden Verfeinerung, auch eine allgemeinere Verbreitung von Kenntniſſen zu genießen — ich erinnere mich noch ſehr wohl, wie meine Großmutter ſich kleidete, ihres Geraͤthes, ihrer Geſellſchaft, ihres Tons — aber wenn das alles jetzt anders iſt, ſo erinnere ich mich auch was ſie fuͤr Vorurtheile hatte, was man damals nicht wußte, nicht lernte, nicht dachte, was damals ganz zu denken verboten war, was nur der Spe- knlation erlaubt war. — Ob wir darum jetzt beſ- ſer daran ſind? das muß das naͤchſte Geſchlecht ausweiſen. Daß der Luxus des Jahrs 1809 mit den Anſichten und Begriffen von 1770 verbunden, ein ſehr unerfreuliches Gemaͤlde darſtellt, habe ich wahrgenommen.
Unter den zahlloſen Kramlaͤden, die hier oft ganze Straßen lang fortlaufen, befindet ſich in der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0154"n="140"/>
zertheilt wird, iſts nicht, was mich betruͤbt, daß<lb/>ſtatt alten Sitten neue eintreten, iſts auch nicht,<lb/>
aber ich vermiſſe einen gleichen Fortſchritt der all-<lb/>
gemeinen Bildung mit der allgemeinen Verfeine-<lb/>
rung — denn Verfeinerung neunt man es ja! —<lb/>
Iſt das uͤberall ſo, wo man die Fortſchritte der<lb/>
Verfeinerung ſo deutlich verfolgen kann? Mir<lb/>
daͤucht, die Deutſchen waͤren ſo gluͤcklich geweſen<lb/>
bei der uͤberhandnehmenden Verfeinerung, auch<lb/>
eine allgemeinere Verbreitung von Kenntniſſen zu<lb/>
genießen — ich erinnere mich noch ſehr wohl, wie<lb/>
meine Großmutter ſich kleidete, ihres Geraͤthes,<lb/>
ihrer Geſellſchaft, ihres Tons — aber wenn das<lb/>
alles jetzt anders iſt, ſo erinnere ich mich auch was<lb/>ſie fuͤr Vorurtheile hatte, was man damals nicht<lb/>
wußte, nicht lernte, nicht dachte, was damals<lb/>
ganz zu denken verboten war, was nur der Spe-<lb/>
knlation erlaubt war. — Ob wir darum jetzt beſ-<lb/>ſer daran ſind? das muß das naͤchſte Geſchlecht<lb/>
ausweiſen. Daß der Luxus des Jahrs 1809 mit<lb/>
den Anſichten und Begriffen von 1770 verbunden,<lb/>
ein ſehr unerfreuliches Gemaͤlde darſtellt, habe ich<lb/>
wahrgenommen.</p><lb/><p>Unter den zahlloſen Kramlaͤden, die hier oft<lb/>
ganze Straßen lang fortlaufen, befindet ſich in der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[140/0154]
zertheilt wird, iſts nicht, was mich betruͤbt, daß
ſtatt alten Sitten neue eintreten, iſts auch nicht,
aber ich vermiſſe einen gleichen Fortſchritt der all-
gemeinen Bildung mit der allgemeinen Verfeine-
rung — denn Verfeinerung neunt man es ja! —
Iſt das uͤberall ſo, wo man die Fortſchritte der
Verfeinerung ſo deutlich verfolgen kann? Mir
daͤucht, die Deutſchen waͤren ſo gluͤcklich geweſen
bei der uͤberhandnehmenden Verfeinerung, auch
eine allgemeinere Verbreitung von Kenntniſſen zu
genießen — ich erinnere mich noch ſehr wohl, wie
meine Großmutter ſich kleidete, ihres Geraͤthes,
ihrer Geſellſchaft, ihres Tons — aber wenn das
alles jetzt anders iſt, ſo erinnere ich mich auch was
ſie fuͤr Vorurtheile hatte, was man damals nicht
wußte, nicht lernte, nicht dachte, was damals
ganz zu denken verboten war, was nur der Spe-
knlation erlaubt war. — Ob wir darum jetzt beſ-
ſer daran ſind? das muß das naͤchſte Geſchlecht
ausweiſen. Daß der Luxus des Jahrs 1809 mit
den Anſichten und Begriffen von 1770 verbunden,
ein ſehr unerfreuliches Gemaͤlde darſtellt, habe ich
wahrgenommen.
Unter den zahlloſen Kramlaͤden, die hier oft
ganze Straßen lang fortlaufen, befindet ſich in der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/154>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.