Dinge klagen, die mir die Anekdote der Französin ins Gedächtniß rief, die in London bitterlich über die Unmöglichkeit daselbst froh zu leben klagte, und zum Beweise im geläufigen Pariser Ton ausrief: es ist nicht erhört, wie weit der Engländer Bar- barei geht! die gemeinsten Dinge wissen sie nicht zu bezeichnen -- pour demander du pain ils Vous disent: donnez moi du bread! du bread! grand dieu quel peuple! -- Der ehemalige Ruhm ihrer hohen Schule ist den Utrechtern noch frisch im Gedächtniß, sie halten die hiesigen Anstalten zur vollen Ausbildung eines Jünglings für vollkom- men hinlänglich, so daß ich junge Leute, die hier geboren waren, von ihrer Bestimmung hier ihren Vätern in ihrer gelehrten Laufbahn zu folgen, mit der heitersten Zuversicht sprechen hörte, und auf meine Frage: ob sie denn nicht eine auswärtige Universität besuchen, nicht fremde Länder sehen wollten? versicherten sie mir, daß Utrecht alles in sich schlösse, was die Bildung eines Gelehrten an- fange und vollende.
Ich hatte einen Moment von komischer Demü- thigung für meinen deutschen Nationalstolz -- wie ich mit einem Utrechter über die Straße ging, begegnete ich drei jungen Männern, deren ganzes
Dinge klagen, die mir die Anekdote der Franzoͤſin ins Gedaͤchtniß rief, die in London bitterlich uͤber die Unmoͤglichkeit daſelbſt froh zu leben klagte, und zum Beweiſe im gelaͤufigen Pariſer Ton ausrief: es iſt nicht erhoͤrt, wie weit der Englaͤnder Bar- barei geht! die gemeinſten Dinge wiſſen ſie nicht zu bezeichnen — pour demander du pain ils Vous disent: donnez moi du bréad! du bréad! grand dieu quel peuple! — Der ehemalige Ruhm ihrer hohen Schule iſt den Utrechtern noch friſch im Gedaͤchtniß, ſie halten die hieſigen Anſtalten zur vollen Ausbildung eines Juͤnglings fuͤr vollkom- men hinlaͤnglich, ſo daß ich junge Leute, die hier geboren waren, von ihrer Beſtimmung hier ihren Vaͤtern in ihrer gelehrten Laufbahn zu folgen, mit der heiterſten Zuverſicht ſprechen hoͤrte, und auf meine Frage: ob ſie denn nicht eine auswaͤrtige Univerſitaͤt beſuchen, nicht fremde Laͤnder ſehen wollten? verſicherten ſie mir, daß Utrecht alles in ſich ſchloͤſſe, was die Bildung eines Gelehrten an- fange und vollende.
Ich hatte einen Moment von komiſcher Demuͤ- thigung fuͤr meinen deutſchen Nationalſtolz — wie ich mit einem Utrechter uͤber die Straße ging, begegnete ich drei jungen Maͤnnern, deren ganzes
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0134"n="120"/>
Dinge klagen, die mir die Anekdote der Franzoͤſin<lb/>
ins Gedaͤchtniß rief, die in London bitterlich uͤber<lb/>
die Unmoͤglichkeit daſelbſt froh zu leben klagte, und<lb/>
zum Beweiſe im gelaͤufigen Pariſer Ton ausrief:<lb/>
es iſt nicht erhoͤrt, wie weit der Englaͤnder Bar-<lb/>
barei geht! die gemeinſten Dinge wiſſen ſie nicht<lb/>
zu bezeichnen —<hirendition="#aq">pour demander du pain ils Vous<lb/>
disent: donnez moi du bréad! du bréad! grand<lb/>
dieu quel peuple!</hi>— Der ehemalige Ruhm ihrer<lb/>
hohen Schule iſt den Utrechtern noch friſch im<lb/>
Gedaͤchtniß, ſie halten die hieſigen Anſtalten zur<lb/>
vollen Ausbildung eines Juͤnglings fuͤr vollkom-<lb/>
men hinlaͤnglich, ſo daß ich junge Leute, die hier<lb/>
geboren waren, von ihrer Beſtimmung hier ihren<lb/>
Vaͤtern in ihrer gelehrten Laufbahn zu folgen, mit<lb/>
der heiterſten Zuverſicht ſprechen hoͤrte, und auf<lb/>
meine Frage: ob ſie denn nicht eine auswaͤrtige<lb/>
Univerſitaͤt beſuchen, nicht fremde Laͤnder ſehen<lb/>
wollten? verſicherten ſie mir, daß Utrecht alles in<lb/>ſich ſchloͤſſe, was die Bildung eines Gelehrten an-<lb/>
fange und vollende.</p><lb/><p>Ich hatte einen Moment von komiſcher Demuͤ-<lb/>
thigung fuͤr meinen deutſchen Nationalſtolz —<lb/>
wie ich mit einem Utrechter uͤber die Straße ging,<lb/>
begegnete ich drei jungen Maͤnnern, deren ganzes<lb/></p></div></body></text></TEI>
[120/0134]
Dinge klagen, die mir die Anekdote der Franzoͤſin
ins Gedaͤchtniß rief, die in London bitterlich uͤber
die Unmoͤglichkeit daſelbſt froh zu leben klagte, und
zum Beweiſe im gelaͤufigen Pariſer Ton ausrief:
es iſt nicht erhoͤrt, wie weit der Englaͤnder Bar-
barei geht! die gemeinſten Dinge wiſſen ſie nicht
zu bezeichnen — pour demander du pain ils Vous
disent: donnez moi du bréad! du bréad! grand
dieu quel peuple! — Der ehemalige Ruhm ihrer
hohen Schule iſt den Utrechtern noch friſch im
Gedaͤchtniß, ſie halten die hieſigen Anſtalten zur
vollen Ausbildung eines Juͤnglings fuͤr vollkom-
men hinlaͤnglich, ſo daß ich junge Leute, die hier
geboren waren, von ihrer Beſtimmung hier ihren
Vaͤtern in ihrer gelehrten Laufbahn zu folgen, mit
der heiterſten Zuverſicht ſprechen hoͤrte, und auf
meine Frage: ob ſie denn nicht eine auswaͤrtige
Univerſitaͤt beſuchen, nicht fremde Laͤnder ſehen
wollten? verſicherten ſie mir, daß Utrecht alles in
ſich ſchloͤſſe, was die Bildung eines Gelehrten an-
fange und vollende.
Ich hatte einen Moment von komiſcher Demuͤ-
thigung fuͤr meinen deutſchen Nationalſtolz —
wie ich mit einem Utrechter uͤber die Straße ging,
begegnete ich drei jungen Maͤnnern, deren ganzes
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/134>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.