Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.rechts dem Hause des Verwalters zu und pochte, noch athemlos vom Laufen, an das niedrige Fenster. Es war nun schon der lichte Tag nicht mehr fern; als der Laden geöffnet wurde, spiegelte sich das Morgenroth in den Scheiben. Die Frau des Verwalters starrte den frühen Besuch in sprachloser Verwunderung an. Gigia warf einen Blick auf sich selbst und gewahrte sich im vollen Hochzeitsstaat. Freilich war er nicht mehr so glatt und sauber, als ihn die Mutter ihr gestern Abend angelegt hatte. In ihrer Verlegenheit brachte Gigia kein Wort heraus; doch dann erinnerte sie sich, daß sie keinen Augenblick verlieren durfte, und in fliegender Eile fragte sie: Ist es wahr, Fattoressa, daß der Maso Nencioni noch bei Euch krank darniederliegt? Die Verwalterin meinte, keine Antwort schuldig zu sein, ehe ihre eigene gerechte Neugierde Befriedigung erlangt hätte, und fragte ihrerseits: Seid Ihr verrückt geworden, Figliuola mia? In solcher Weise drohte das Gespräch keinen so schnellen Fortgang zu nehmen, als das Mädchen wünschte; zum Glück hatte das Klopfen noch Jemanden im Hause geweckt, der ein sonderlich scharfes Gehör dafür hatte, die Stimme Gigia's zu erkennen. Nein, Gigia, ich bin nicht mehr krank, schrie von drinnen Maso; mit einem Satze war er aus dem Bette, aber nun, mitten in seiner Wonne, vermochte er einen Fluch nicht zu unterdrücken, weil er seine Jacke nicht rechts dem Hause des Verwalters zu und pochte, noch athemlos vom Laufen, an das niedrige Fenster. Es war nun schon der lichte Tag nicht mehr fern; als der Laden geöffnet wurde, spiegelte sich das Morgenroth in den Scheiben. Die Frau des Verwalters starrte den frühen Besuch in sprachloser Verwunderung an. Gigia warf einen Blick auf sich selbst und gewahrte sich im vollen Hochzeitsstaat. Freilich war er nicht mehr so glatt und sauber, als ihn die Mutter ihr gestern Abend angelegt hatte. In ihrer Verlegenheit brachte Gigia kein Wort heraus; doch dann erinnerte sie sich, daß sie keinen Augenblick verlieren durfte, und in fliegender Eile fragte sie: Ist es wahr, Fattoressa, daß der Maso Nencioni noch bei Euch krank darniederliegt? Die Verwalterin meinte, keine Antwort schuldig zu sein, ehe ihre eigene gerechte Neugierde Befriedigung erlangt hätte, und fragte ihrerseits: Seid Ihr verrückt geworden, Figliuola mia? In solcher Weise drohte das Gespräch keinen so schnellen Fortgang zu nehmen, als das Mädchen wünschte; zum Glück hatte das Klopfen noch Jemanden im Hause geweckt, der ein sonderlich scharfes Gehör dafür hatte, die Stimme Gigia's zu erkennen. Nein, Gigia, ich bin nicht mehr krank, schrie von drinnen Maso; mit einem Satze war er aus dem Bette, aber nun, mitten in seiner Wonne, vermochte er einen Fluch nicht zu unterdrücken, weil er seine Jacke nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0070"/> rechts dem Hause des Verwalters zu und pochte, noch athemlos vom Laufen, an das niedrige Fenster. Es war nun schon der lichte Tag nicht mehr fern; als der Laden geöffnet wurde, spiegelte sich das Morgenroth in den Scheiben.</p><lb/> <p>Die Frau des Verwalters starrte den frühen Besuch in sprachloser Verwunderung an. Gigia warf einen Blick auf sich selbst und gewahrte sich im vollen Hochzeitsstaat. Freilich war er nicht mehr so glatt und sauber, als ihn die Mutter ihr gestern Abend angelegt hatte. In ihrer Verlegenheit brachte Gigia kein Wort heraus; doch dann erinnerte sie sich, daß sie keinen Augenblick verlieren durfte, und in fliegender Eile fragte sie: Ist es wahr, Fattoressa, daß der Maso Nencioni noch bei Euch krank darniederliegt?</p><lb/> <p>Die Verwalterin meinte, keine Antwort schuldig zu sein, ehe ihre eigene gerechte Neugierde Befriedigung erlangt hätte, und fragte ihrerseits: Seid Ihr verrückt geworden, <hi rendition="#aq">Figliuola mia?</hi></p><lb/> <p>In solcher Weise drohte das Gespräch keinen so schnellen Fortgang zu nehmen, als das Mädchen wünschte; zum Glück hatte das Klopfen noch Jemanden im Hause geweckt, der ein sonderlich scharfes Gehör dafür hatte, die Stimme Gigia's zu erkennen.</p><lb/> <p>Nein, Gigia, ich bin nicht mehr krank, schrie von drinnen Maso; mit einem Satze war er aus dem Bette, aber nun, mitten in seiner Wonne, vermochte er einen Fluch nicht zu unterdrücken, weil er seine Jacke nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0070]
rechts dem Hause des Verwalters zu und pochte, noch athemlos vom Laufen, an das niedrige Fenster. Es war nun schon der lichte Tag nicht mehr fern; als der Laden geöffnet wurde, spiegelte sich das Morgenroth in den Scheiben.
Die Frau des Verwalters starrte den frühen Besuch in sprachloser Verwunderung an. Gigia warf einen Blick auf sich selbst und gewahrte sich im vollen Hochzeitsstaat. Freilich war er nicht mehr so glatt und sauber, als ihn die Mutter ihr gestern Abend angelegt hatte. In ihrer Verlegenheit brachte Gigia kein Wort heraus; doch dann erinnerte sie sich, daß sie keinen Augenblick verlieren durfte, und in fliegender Eile fragte sie: Ist es wahr, Fattoressa, daß der Maso Nencioni noch bei Euch krank darniederliegt?
Die Verwalterin meinte, keine Antwort schuldig zu sein, ehe ihre eigene gerechte Neugierde Befriedigung erlangt hätte, und fragte ihrerseits: Seid Ihr verrückt geworden, Figliuola mia?
In solcher Weise drohte das Gespräch keinen so schnellen Fortgang zu nehmen, als das Mädchen wünschte; zum Glück hatte das Klopfen noch Jemanden im Hause geweckt, der ein sonderlich scharfes Gehör dafür hatte, die Stimme Gigia's zu erkennen.
Nein, Gigia, ich bin nicht mehr krank, schrie von drinnen Maso; mit einem Satze war er aus dem Bette, aber nun, mitten in seiner Wonne, vermochte er einen Fluch nicht zu unterdrücken, weil er seine Jacke nicht
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