Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Gespräch nicht durch den Eintritt des Signor Baldo unterbrochen worden wäre. Derselbe hatte seine Kalkbrennereien auf Montepilli besichtigt; auf dem Rückweg, der ihn durch Urballa führte, war er dem Prior von San Giorgio begegnet. In Urballa, so erzählte er, bereiten sich die Burschen heute als an einem Sonntag auf einen Zusammenstoß mit den Valtellanern vor; der Prior habe vergebens die Führer, Agenore und Bistino, gemahnt, Frieden zu halten; der alte Hader zwischen Urballa und Valtella sei wieder so heiß entbrannt wie je. Und an all dem ist diese Capricciosa schuld, rief die Signora voll Entrüstung. Ja, eine wahre Capricciosa! fuhr ihr Gatte fort. Der Priore hat mir erzählt: heute früh bei der Verlesung des Aufgebots habe er bemerkt, wie sie -- -- sie kniete auf den Stufen des Chors, und der Priore beobachtete sie aus der Nähe -- da bemerkte er, wie sie bei der Verkündigung der beiden Namen ihr Gesicht weinend in ihrem Tuch verbarg, und er hörte auch ihr Wimmern: O ich Arme, ich Arme! Was sie nur eigentlich will, die seltsame Dirne! Andere Mädchen glühen vor Freude, wenn sie sich in der Kirche ausrufen hören. Diese Worte ihres Gemahls machten einen tiefen, einen nicht unlieben Eindruck auf Donna Ersilia. Hatte Maso dennoch Recht? Das schien gewiß: Gigia fühlte sich nicht glücklich als die Braut Agenore's. Die Fal- Gespräch nicht durch den Eintritt des Signor Baldo unterbrochen worden wäre. Derselbe hatte seine Kalkbrennereien auf Montepilli besichtigt; auf dem Rückweg, der ihn durch Urballa führte, war er dem Prior von San Giorgio begegnet. In Urballa, so erzählte er, bereiten sich die Burschen heute als an einem Sonntag auf einen Zusammenstoß mit den Valtellanern vor; der Prior habe vergebens die Führer, Agenore und Bistino, gemahnt, Frieden zu halten; der alte Hader zwischen Urballa und Valtella sei wieder so heiß entbrannt wie je. Und an all dem ist diese Capricciosa schuld, rief die Signora voll Entrüstung. Ja, eine wahre Capricciosa! fuhr ihr Gatte fort. Der Priore hat mir erzählt: heute früh bei der Verlesung des Aufgebots habe er bemerkt, wie sie — — sie kniete auf den Stufen des Chors, und der Priore beobachtete sie aus der Nähe — da bemerkte er, wie sie bei der Verkündigung der beiden Namen ihr Gesicht weinend in ihrem Tuch verbarg, und er hörte auch ihr Wimmern: O ich Arme, ich Arme! Was sie nur eigentlich will, die seltsame Dirne! Andere Mädchen glühen vor Freude, wenn sie sich in der Kirche ausrufen hören. Diese Worte ihres Gemahls machten einen tiefen, einen nicht unlieben Eindruck auf Donna Ersilia. Hatte Maso dennoch Recht? Das schien gewiß: Gigia fühlte sich nicht glücklich als die Braut Agenore's. Die Fal- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0053"/> Gespräch nicht durch den Eintritt des Signor Baldo unterbrochen worden wäre. Derselbe hatte seine Kalkbrennereien auf Montepilli besichtigt; auf dem Rückweg, der ihn durch Urballa führte, war er dem Prior von San Giorgio begegnet. In Urballa, so erzählte er, bereiten sich die Burschen heute als an einem Sonntag auf einen Zusammenstoß mit den Valtellanern vor; der Prior habe vergebens die Führer, Agenore und Bistino, gemahnt, Frieden zu halten; der alte Hader zwischen Urballa und Valtella sei wieder so heiß entbrannt wie je.</p><lb/> <p>Und an all dem ist diese Capricciosa schuld, rief die Signora voll Entrüstung.</p><lb/> <p>Ja, eine wahre Capricciosa! fuhr ihr Gatte fort. Der Priore hat mir erzählt: heute früh bei der Verlesung des Aufgebots habe er bemerkt, wie sie — — sie kniete auf den Stufen des Chors, und der Priore beobachtete sie aus der Nähe — da bemerkte er, wie sie bei der Verkündigung der beiden Namen ihr Gesicht weinend in ihrem Tuch verbarg, und er hörte auch ihr Wimmern: O ich Arme, ich Arme! Was sie nur eigentlich will, die seltsame Dirne! Andere Mädchen glühen vor Freude, wenn sie sich in der Kirche ausrufen hören.</p><lb/> <p>Diese Worte ihres Gemahls machten einen tiefen, einen nicht unlieben Eindruck auf Donna Ersilia. Hatte Maso dennoch Recht? Das schien gewiß: Gigia fühlte sich nicht glücklich als die Braut Agenore's. Die Fal-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
Gespräch nicht durch den Eintritt des Signor Baldo unterbrochen worden wäre. Derselbe hatte seine Kalkbrennereien auf Montepilli besichtigt; auf dem Rückweg, der ihn durch Urballa führte, war er dem Prior von San Giorgio begegnet. In Urballa, so erzählte er, bereiten sich die Burschen heute als an einem Sonntag auf einen Zusammenstoß mit den Valtellanern vor; der Prior habe vergebens die Führer, Agenore und Bistino, gemahnt, Frieden zu halten; der alte Hader zwischen Urballa und Valtella sei wieder so heiß entbrannt wie je.
Und an all dem ist diese Capricciosa schuld, rief die Signora voll Entrüstung.
Ja, eine wahre Capricciosa! fuhr ihr Gatte fort. Der Priore hat mir erzählt: heute früh bei der Verlesung des Aufgebots habe er bemerkt, wie sie — — sie kniete auf den Stufen des Chors, und der Priore beobachtete sie aus der Nähe — da bemerkte er, wie sie bei der Verkündigung der beiden Namen ihr Gesicht weinend in ihrem Tuch verbarg, und er hörte auch ihr Wimmern: O ich Arme, ich Arme! Was sie nur eigentlich will, die seltsame Dirne! Andere Mädchen glühen vor Freude, wenn sie sich in der Kirche ausrufen hören.
Diese Worte ihres Gemahls machten einen tiefen, einen nicht unlieben Eindruck auf Donna Ersilia. Hatte Maso dennoch Recht? Das schien gewiß: Gigia fühlte sich nicht glücklich als die Braut Agenore's. Die Fal-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T12:13:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T12:13:28Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |