Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite
Mein Onkel dort, der Wirth zum weißen Schwan,
Wohnt ja ganz nahe an der Eisenbahn!
Ich weiß, er freut sich, wenn wir ihn besuchen,
Und Tantchen gar backt einen Extrakuchen!
Und dann -- o Gott -- die wunderschöne Luft,
Wald, Wiese, Sonnenschein und Kräuterduft,
Und über sich nichts, nichts als Himmelsbläue --
Nein, nein! du weißt nicht, wie ich mich schon freue!"
Da sprach ich: "Topp, du kleiner Niegenug!
Wir fahren morgen mit dem ersten Zug.
Als Musikant mach ich eins gern mal Pause ...
Doch es wird kühl hier, komm, wir gehn nach Hause!"
Und wieder thorwärts wandten wir uns um
Und wurden still und wußten nicht warum.
Im Fluß das Wasser rann nur noch von ferne
Und durch das Laubdach blitzten schon die Sterne.
Ein feuchter Nachtwind durch die Wipfel strich,
Du aber schmiegtest fester dich an mich,
Und wie das Schlußwort einer schönen Dichtung
That sich nun wieder vor uns auf die Lichtung.
Dort hub die Stadt sich schwarz und ungewiß
Vom Horizont ab wie ein Schattenriß,
Nur hie und da warf fernher aus dem Dunkel
Ein Fenster noch sein rothes Lichtgefunkel.
Es war so schön, so wunderschön zu sehn,
Und schweigend blieben wir noch einmal stehn,
Mein Onkel dort, der Wirth zum weißen Schwan,
Wohnt ja ganz nahe an der Eiſenbahn!
Ich weiß, er freut ſich, wenn wir ihn beſuchen,
Und Tantchen gar backt einen Extrakuchen!
Und dann — o Gott — die wunderſchöne Luft,
Wald, Wieſe, Sonnenſchein und Kräuterduft,
Und über ſich nichts, nichts als Himmelsbläue —
Nein, nein! du weißt nicht, wie ich mich ſchon freue!“
Da ſprach ich: „Topp, du kleiner Niegenug!
Wir fahren morgen mit dem erſten Zug.
Als Muſikant mach ich eins gern mal Pauſe ...
Doch es wird kühl hier, komm, wir gehn nach Hauſe!“
Und wieder thorwärts wandten wir uns um
Und wurden ſtill und wußten nicht warum.
Im Fluß das Waſſer rann nur noch von ferne
Und durch das Laubdach blitzten ſchon die Sterne.
Ein feuchter Nachtwind durch die Wipfel ſtrich,
Du aber ſchmiegteſt feſter dich an mich,
Und wie das Schlußwort einer ſchönen Dichtung
That ſich nun wieder vor uns auf die Lichtung.
Dort hub die Stadt ſich ſchwarz und ungewiß
Vom Horizont ab wie ein Schattenriß,
Nur hie und da warf fernher aus dem Dunkel
Ein Fenſter noch ſein rothes Lichtgefunkel.
Es war ſo ſchön, ſo wunderſchön zu ſehn,
Und ſchweigend blieben wir noch einmal ſtehn,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0066" n="44"/>
          <lg n="15">
            <l>Mein Onkel dort, der Wirth zum weißen Schwan,</l><lb/>
            <l>Wohnt ja ganz nahe an der Ei&#x017F;enbahn!</l><lb/>
            <l>Ich weiß, er freut &#x017F;ich, wenn wir ihn be&#x017F;uchen,</l><lb/>
            <l>Und Tantchen gar backt einen Extrakuchen!</l><lb/>
            <l>Und dann &#x2014; o Gott &#x2014; die wunder&#x017F;chöne Luft,</l><lb/>
            <l>Wald, Wie&#x017F;e, Sonnen&#x017F;chein und Kräuterduft,</l><lb/>
            <l>Und über &#x017F;ich nichts, nichts als Himmelsbläue &#x2014;</l><lb/>
            <l>Nein, nein! du weißt nicht, wie ich mich &#x017F;chon freue!&#x201C;</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;prach ich: &#x201E;Topp, du kleiner Niegenug!</l><lb/>
            <l>Wir fahren morgen mit dem er&#x017F;ten Zug.</l><lb/>
            <l>Als Mu&#x017F;ikant mach ich eins gern mal Pau&#x017F;e ...</l><lb/>
            <l>Doch es wird kühl hier, komm, wir gehn nach Hau&#x017F;e!&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="16">
            <l>Und wieder thorwärts wandten wir uns um</l><lb/>
            <l>Und wurden &#x017F;till und wußten nicht warum.</l><lb/>
            <l>Im Fluß das Wa&#x017F;&#x017F;er rann nur noch von ferne</l><lb/>
            <l>Und durch das Laubdach blitzten &#x017F;chon die Sterne.</l><lb/>
            <l>Ein feuchter Nachtwind durch die Wipfel &#x017F;trich,</l><lb/>
            <l>Du aber &#x017F;chmiegte&#x017F;t fe&#x017F;ter dich an mich,</l><lb/>
            <l>Und wie das Schlußwort einer &#x017F;chönen Dichtung</l><lb/>
            <l>That &#x017F;ich nun wieder vor uns auf die Lichtung.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="17">
            <l>Dort hub die Stadt &#x017F;ich &#x017F;chwarz und ungewiß</l><lb/>
            <l>Vom Horizont ab wie ein Schattenriß,</l><lb/>
            <l>Nur hie und da warf fernher aus dem Dunkel</l><lb/>
            <l>Ein Fen&#x017F;ter noch &#x017F;ein rothes Lichtgefunkel.</l><lb/>
            <l>Es war &#x017F;o &#x017F;chön, &#x017F;o wunder&#x017F;chön zu &#x017F;ehn,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;chweigend blieben wir noch einmal &#x017F;tehn,</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0066] Mein Onkel dort, der Wirth zum weißen Schwan, Wohnt ja ganz nahe an der Eiſenbahn! Ich weiß, er freut ſich, wenn wir ihn beſuchen, Und Tantchen gar backt einen Extrakuchen! Und dann — o Gott — die wunderſchöne Luft, Wald, Wieſe, Sonnenſchein und Kräuterduft, Und über ſich nichts, nichts als Himmelsbläue — Nein, nein! du weißt nicht, wie ich mich ſchon freue!“ Da ſprach ich: „Topp, du kleiner Niegenug! Wir fahren morgen mit dem erſten Zug. Als Muſikant mach ich eins gern mal Pauſe ... Doch es wird kühl hier, komm, wir gehn nach Hauſe!“ Und wieder thorwärts wandten wir uns um Und wurden ſtill und wußten nicht warum. Im Fluß das Waſſer rann nur noch von ferne Und durch das Laubdach blitzten ſchon die Sterne. Ein feuchter Nachtwind durch die Wipfel ſtrich, Du aber ſchmiegteſt feſter dich an mich, Und wie das Schlußwort einer ſchönen Dichtung That ſich nun wieder vor uns auf die Lichtung. Dort hub die Stadt ſich ſchwarz und ungewiß Vom Horizont ab wie ein Schattenriß, Nur hie und da warf fernher aus dem Dunkel Ein Fenſter noch ſein rothes Lichtgefunkel. Es war ſo ſchön, ſo wunderſchön zu ſehn, Und ſchweigend blieben wir noch einmal ſtehn,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/66
Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/66>, abgerufen am 22.11.2024.