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Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

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Opferfreudig und unentwegt
Mit Herz und mit Hand, in Wort und in That!
Und will nur einmal eine Fiber meines Herzens
Untreu werden, untreu sich selbst:
Dann sei die Lippe verflucht, die mich küßt,
Das Herz, das mich lieb hat, breche in Stücke,
Und die Hand, die schurkisch den Schwur gebrochen,
Recke dereinst sich um Mitternacht
Aus meinem Grab ins Mondlicht empor
Und melde so stumm dem verstörten Wandrer:
"Hier ruht der Verfluchte!"
Bebend rollten die dumpfen Worte von meinen Lippen,
Auf meinen Lidern lag es wie Blei
Und ich schleppte mich schwindelnden Kopfs an den Schreibtisch
Und warf mich dort
Erschöpft auf den Stuhl.
Da -- plötzlich -- legte sich riesenschwer
Auf meine müde, zitternde Schulter
Eine große, knochige Faust
Und vor mir stand,
Bleich und düster,
Eine markige, hochgegliederte Mannsgestalt
Und sah mich mit großen, schwarzen Augen,
Die abgrundtief unter der hohen, weißen Stirn
Wie feurige Kohlen glühten,
Durchbohrend an.
Opferfreudig und unentwegt
Mit Herz und mit Hand, in Wort und in That!
Und will nur einmal eine Fiber meines Herzens
Untreu werden, untreu ſich ſelbſt:
Dann ſei die Lippe verflucht, die mich küßt,
Das Herz, das mich lieb hat, breche in Stücke,
Und die Hand, die ſchurkiſch den Schwur gebrochen,
Recke dereinſt ſich um Mitternacht
Aus meinem Grab ins Mondlicht empor
Und melde ſo ſtumm dem verſtörten Wandrer:
„Hier ruht der Verfluchte!“
Bebend rollten die dumpfen Worte von meinen Lippen,
Auf meinen Lidern lag es wie Blei
Und ich ſchleppte mich ſchwindelnden Kopfs an den Schreibtiſch
Und warf mich dort
Erſchöpft auf den Stuhl.
Da — plötzlich — legte ſich rieſenſchwer
Auf meine müde, zitternde Schulter
Eine große, knochige Fauſt
Und vor mir ſtand,
Bleich und düſter,
Eine markige, hochgegliederte Mannsgeſtalt
Und ſah mich mit großen, ſchwarzen Augen,
Die abgrundtief unter der hohen, weißen Stirn
Wie feurige Kohlen glühten,
Durchbohrend an.
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[282/0304] Opferfreudig und unentwegt Mit Herz und mit Hand, in Wort und in That! Und will nur einmal eine Fiber meines Herzens Untreu werden, untreu ſich ſelbſt: Dann ſei die Lippe verflucht, die mich küßt, Das Herz, das mich lieb hat, breche in Stücke, Und die Hand, die ſchurkiſch den Schwur gebrochen, Recke dereinſt ſich um Mitternacht Aus meinem Grab ins Mondlicht empor Und melde ſo ſtumm dem verſtörten Wandrer: „Hier ruht der Verfluchte!“ Bebend rollten die dumpfen Worte von meinen Lippen, Auf meinen Lidern lag es wie Blei Und ich ſchleppte mich ſchwindelnden Kopfs an den Schreibtiſch Und warf mich dort Erſchöpft auf den Stuhl. Da — plötzlich — legte ſich rieſenſchwer Auf meine müde, zitternde Schulter Eine große, knochige Fauſt Und vor mir ſtand, Bleich und düſter, Eine markige, hochgegliederte Mannsgeſtalt Und ſah mich mit großen, ſchwarzen Augen, Die abgrundtief unter der hohen, weißen Stirn Wie feurige Kohlen glühten, Durchbohrend an.

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Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/304>, abgerufen am 24.11.2024.