Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite
Umflattert von den letzten, phantastischen Fetzen
Seines eingestürzten, christlichen Thronhimmels,
Zuckte sein Wort, roth wie ein Blitz:
"Es werde Licht!"
Weinend tauschte tiefunten auf Erden
Beim ersten Aufblitz des ewigen Frühlichts
Die versöhnte Menschheit
Herz an Herz
Den ersten heiligen Bruderkuß
Und lächelnd entrang sich dem dunklen Chaos,
Vor ihrer eigenen, wonnigen Schönheit
Süß erschreckt, eine neue Welt,
Die Welt der Verheißung!
O, wie das Herz mir schlug!
In zorndurchloderten, wilden Rhythmen,
Kraftvoll gegliedert,
Standen sie da meine feurigen Strophen,
Glorreich und todverachtend,
Wie weiland das Häuflein der dreihundert Sparter
In den Schluchten der Thermopylen.
Und ich las es noch einmal,
Was ich niedergeschrieben mit meinem Herzblut!
Und wieder dann dacht ich, lautauf grollend,
Wie noch immer
Auf dieser ruhlos wandernden Erde
Das Elend, unser ältestes Hausthier,
18
Umflattert von den letzten, phantaſtiſchen Fetzen
Seines eingeſtürzten, chriſtlichen Thronhimmels,
Zuckte ſein Wort, roth wie ein Blitz:
„Es werde Licht!“
Weinend tauſchte tiefunten auf Erden
Beim erſten Aufblitz des ewigen Frühlichts
Die verſöhnte Menſchheit
Herz an Herz
Den erſten heiligen Bruderkuß
Und lächelnd entrang ſich dem dunklen Chaos,
Vor ihrer eigenen, wonnigen Schönheit
Süß erſchreckt, eine neue Welt,
Die Welt der Verheißung!
O, wie das Herz mir ſchlug!
In zorndurchloderten, wilden Rhythmen,
Kraftvoll gegliedert,
Standen ſie da meine feurigen Strophen,
Glorreich und todverachtend,
Wie weiland das Häuflein der dreihundert Sparter
In den Schluchten der Thermopylen.
Und ich las es noch einmal,
Was ich niedergeſchrieben mit meinem Herzblut!
Und wieder dann dacht ich, lautauf grollend,
Wie noch immer
Auf dieſer ruhlos wandernden Erde
Das Elend, unſer älteſtes Hausthier,
18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0295" n="273"/>
          <lg n="26">
            <l>Umflattert von den letzten, phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Fetzen</l><lb/>
            <l>Seines einge&#x017F;türzten, chri&#x017F;tlichen Thronhimmels,</l><lb/>
            <l>Zuckte &#x017F;ein Wort, roth wie ein Blitz:</l><lb/>
            <l>&#x201E;Es werde Licht!&#x201C;</l><lb/>
            <l>Weinend tau&#x017F;chte tiefunten auf Erden</l><lb/>
            <l>Beim er&#x017F;ten Aufblitz des ewigen Frühlichts</l><lb/>
            <l>Die ver&#x017F;öhnte Men&#x017F;chheit</l><lb/>
            <l>Herz an Herz</l><lb/>
            <l>Den er&#x017F;ten heiligen Bruderkuß</l><lb/>
            <l>Und lächelnd entrang &#x017F;ich dem dunklen Chaos,</l><lb/>
            <l>Vor ihrer eigenen, wonnigen Schönheit</l><lb/>
            <l>Süß er&#x017F;chreckt, eine neue Welt,</l><lb/>
            <l><hi rendition="#g">Die Welt der Verheißung</hi>!</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="27">
            <l>O, wie das Herz mir &#x017F;chlug!</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="28">
            <l>In zorndurchloderten, wilden Rhythmen,</l><lb/>
            <l>Kraftvoll gegliedert,</l><lb/>
            <l>Standen &#x017F;ie da meine feurigen Strophen,</l><lb/>
            <l>Glorreich und todverachtend,</l><lb/>
            <l>Wie weiland das Häuflein der dreihundert Sparter</l><lb/>
            <l>In den Schluchten der Thermopylen.</l><lb/>
            <l>Und ich las es noch einmal,</l><lb/>
            <l>Was ich niederge&#x017F;chrieben mit meinem <hi rendition="#g">Herzblut</hi>!</l><lb/>
            <l>Und wieder dann dacht ich, lautauf grollend,</l><lb/>
            <l>Wie noch immer</l><lb/>
            <l>Auf die&#x017F;er ruhlos wandernden Erde</l><lb/>
            <l>Das Elend, un&#x017F;er älte&#x017F;tes Hausthier,</l><lb/>
          </lg>
          <fw place="bottom" type="sig">18<lb/></fw>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[273/0295] Umflattert von den letzten, phantaſtiſchen Fetzen Seines eingeſtürzten, chriſtlichen Thronhimmels, Zuckte ſein Wort, roth wie ein Blitz: „Es werde Licht!“ Weinend tauſchte tiefunten auf Erden Beim erſten Aufblitz des ewigen Frühlichts Die verſöhnte Menſchheit Herz an Herz Den erſten heiligen Bruderkuß Und lächelnd entrang ſich dem dunklen Chaos, Vor ihrer eigenen, wonnigen Schönheit Süß erſchreckt, eine neue Welt, Die Welt der Verheißung! O, wie das Herz mir ſchlug! In zorndurchloderten, wilden Rhythmen, Kraftvoll gegliedert, Standen ſie da meine feurigen Strophen, Glorreich und todverachtend, Wie weiland das Häuflein der dreihundert Sparter In den Schluchten der Thermopylen. Und ich las es noch einmal, Was ich niedergeſchrieben mit meinem Herzblut! Und wieder dann dacht ich, lautauf grollend, Wie noch immer Auf dieſer ruhlos wandernden Erde Das Elend, unſer älteſtes Hausthier, 18

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/295
Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/295>, abgerufen am 24.11.2024.