Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.6. "Weder Glück noch Stern!" Er war ein Narr! sprach mitleidslos die Welt, Ein Träumer! milderte die Nachbarschaft Und nur sein Herzfreund sprach: Er war ein Dichter! Vor seinem Krankenlager aber saß
Die bleiche Schwester der Barmherzigkeit Und blickte sinnend auf ein Blatt Papier, Das gestern erst der flinke Telegraph, Mit seinen krausen Zeichen überdeckt, Und nur mit Mühe konnte sie entziffern: "Ihr erstes Stück! Ein Sensationserfolg! Berühmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!" Er aber, dem dies kleine Blatt Papier Die heißersehnte Botschaft künden sollte: Glück auf, nun hast du nicht umsonst gelebt -- Er schlief und sah es nicht, denn er war todt. 6. „Weder Glück noch Stern!“ Er war ein Narr! ſprach mitleidslos die Welt, Ein Träumer! milderte die Nachbarſchaft Und nur ſein Herzfreund ſprach: Er war ein Dichter! Vor ſeinem Krankenlager aber ſaß
Die bleiche Schweſter der Barmherzigkeit Und blickte ſinnend auf ein Blatt Papier, Das geſtern erſt der flinke Telegraph, Mit ſeinen krauſen Zeichen überdeckt, Und nur mit Mühe konnte ſie entziffern: „Ihr erſtes Stück! Ein Senſationserfolg! Berühmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!“ Er aber, dem dies kleine Blatt Papier Die heißerſehnte Botſchaft künden ſollte: Glück auf, nun haſt du nicht umſonſt gelebt — Er ſchlief und ſah es nicht, denn er war todt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb n="96" facs="#f0118"/> </div> <div n="2"> <head>6.<lb/><hi rendition="#b">„Weder Glück noch Stern!“</hi><lb/></head> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">E</hi>r war ein Narr! ſprach mitleidslos die Welt,</l><lb/> <l>Ein Träumer! milderte die Nachbarſchaft</l><lb/> <l>Und nur ſein Herzfreund ſprach: Er war ein Dichter!</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Vor ſeinem Krankenlager aber ſaß</l><lb/> <l>Die bleiche Schweſter der Barmherzigkeit</l><lb/> <l>Und blickte ſinnend auf ein Blatt Papier,</l><lb/> <l>Das geſtern erſt der flinke Telegraph,</l><lb/> <l>Mit ſeinen krauſen Zeichen überdeckt,</l><lb/> <l>Und nur mit Mühe konnte ſie entziffern:</l><lb/> <l>„Ihr erſtes Stück! Ein Senſationserfolg!</l><lb/> <l>Berühmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!“</l><lb/> <l>Er aber, dem dies kleine Blatt Papier</l><lb/> <l>Die heißerſehnte Botſchaft künden ſollte:</l><lb/> <l>Glück auf, nun haſt du nicht umſonſt gelebt —</l><lb/> <l>Er ſchlief und ſah es nicht, denn er war todt.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0118]
6.
„Weder Glück noch Stern!“
Er war ein Narr! ſprach mitleidslos die Welt,
Ein Träumer! milderte die Nachbarſchaft
Und nur ſein Herzfreund ſprach: Er war ein Dichter!
Vor ſeinem Krankenlager aber ſaß
Die bleiche Schweſter der Barmherzigkeit
Und blickte ſinnend auf ein Blatt Papier,
Das geſtern erſt der flinke Telegraph,
Mit ſeinen krauſen Zeichen überdeckt,
Und nur mit Mühe konnte ſie entziffern:
„Ihr erſtes Stück! Ein Senſationserfolg!
Berühmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!“
Er aber, dem dies kleine Blatt Papier
Die heißerſehnte Botſchaft künden ſollte:
Glück auf, nun haſt du nicht umſonſt gelebt —
Er ſchlief und ſah es nicht, denn er war todt.
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Zitationshilfe: | Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/118>, abgerufen am 03.03.2025. |