des Liebenauer Forstes nicht von der Seite des Fuchs- winkels, wo er ausgegangen; vielmehr bog er in jenen Fußpfad ein, der mit der Straße zur Hauptstadt in Verbindung steht. Dort hatte Onkel Nasus ein Jahr vor Antons Flucht kleine Birken anpflanzen lassen. Die jungen Stämmchen, die man zeitig abgeschnitten, waren bereits in dicke Gesträuche umgewandelt, welche voll belaubt, den großen Hau mit lächelndem Grün bedeckten. Unzählige Finken sangen dort ihr Morgenlied. Ueber die Schonung hinaus drehte bei sanften Winde die alte wohlbekannte Mühle ihre breiten Flügel. Der Müller steckte den weißbestaub- ten Kopf zum kleinen Guckloche heraus. Von dem Flecke wo Anton dies sah, ist noch ein halbes Stünd- chen bis an's Dorf. Es war ihm unmöglich, dieses kurze Stück Weges jetzt gleich zurückzulegen. Seine innere Bewegung überwältigte ihn. Er setzte sich an den Rand des Grabens, welcher die Birkenschonung von einem Stück Brachfeld trennte. Ueber dieses kamen Schaafe gezogen, hinter ihnen Schäfer und Hunde. Der Schäferknecht mit seinem langen, blas- sen Gesicht und den weißlich-blonden Locken konnte kein anderer sein, als des alten Schäfers jüngster Sohn, Gottlieb, einst Gottliebel genannt, ein Gespiele
des Liebenauer Forſtes nicht von der Seite des Fuchs- winkels, wo er ausgegangen; vielmehr bog er in jenen Fußpfad ein, der mit der Straße zur Hauptſtadt in Verbindung ſteht. Dort hatte Onkel Naſus ein Jahr vor Antons Flucht kleine Birken anpflanzen laſſen. Die jungen Staͤmmchen, die man zeitig abgeſchnitten, waren bereits in dicke Geſtraͤuche umgewandelt, welche voll belaubt, den großen Hau mit laͤchelndem Gruͤn bedeckten. Unzaͤhlige Finken ſangen dort ihr Morgenlied. Ueber die Schonung hinaus drehte bei ſanften Winde die alte wohlbekannte Muͤhle ihre breiten Fluͤgel. Der Muͤller ſteckte den weißbeſtaub- ten Kopf zum kleinen Guckloche heraus. Von dem Flecke wo Anton dies ſah, iſt noch ein halbes Stuͤnd- chen bis an’s Dorf. Es war ihm unmoͤglich, dieſes kurze Stuͤck Weges jetzt gleich zuruͤckzulegen. Seine innere Bewegung uͤberwaͤltigte ihn. Er ſetzte ſich an den Rand des Grabens, welcher die Birkenſchonung von einem Stuͤck Brachfeld trennte. Ueber dieſes kamen Schaafe gezogen, hinter ihnen Schaͤfer und Hunde. Der Schaͤferknecht mit ſeinem langen, blaſ- ſen Geſicht und den weißlich-blonden Locken konnte kein anderer ſein, als des alten Schaͤfers juͤngſter Sohn, Gottlieb, einſt Gottliebel genannt, ein Geſpiele
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des Liebenauer Forſtes nicht von der Seite des Fuchs-
winkels, wo er ausgegangen; vielmehr bog er in jenen
Fußpfad ein, der mit der Straße zur Hauptſtadt in
Verbindung ſteht. Dort hatte Onkel Naſus ein Jahr
vor Antons Flucht kleine Birken anpflanzen laſſen.
Die jungen Staͤmmchen, die man zeitig abgeſchnitten,
waren bereits in dicke Geſtraͤuche umgewandelt,
welche voll belaubt, den großen Hau mit laͤchelndem
Gruͤn bedeckten. Unzaͤhlige Finken ſangen dort ihr
Morgenlied. Ueber die Schonung hinaus drehte bei
ſanften Winde die alte wohlbekannte Muͤhle ihre
breiten Fluͤgel. Der Muͤller ſteckte den weißbeſtaub-
ten Kopf zum kleinen Guckloche heraus. Von dem
Flecke wo Anton dies ſah, iſt noch ein halbes Stuͤnd-
chen bis an’s Dorf. Es war ihm unmoͤglich, dieſes
kurze Stuͤck Weges jetzt gleich zuruͤckzulegen. Seine
innere Bewegung uͤberwaͤltigte ihn. Er ſetzte ſich an
den Rand des Grabens, welcher die Birkenſchonung
von einem Stuͤck Brachfeld trennte. Ueber dieſes
kamen Schaafe gezogen, hinter ihnen Schaͤfer und
Hunde. Der Schaͤferknecht mit ſeinem langen, blaſ-
ſen Geſicht und den weißlich-blonden Locken konnte
kein anderer ſein, als des alten Schaͤfers juͤngſter
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/88>, abgerufen am 05.07.2024.
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