Es giebt Deren. Glauben Sie mir, bei der Mehrzahl jener zweibeinigen Geschöpfe, die sich das Recht anmaßen, Menschen genannt zu werden, kommt es nur darauf an, sie einzuschüchtern, ihnen frech ent- gegen zu treten, sie in Grund und Boden zu sprechen. Geschmack, eigenen, selbstständigen Geschmack besitzen und üben die Wenigsten; sogar unter denen, die sich für gebildete Leute halten, ist er selten. Das kommt einem rohen, unverschämten Lümmel, von Jhres Nachbars Gattung, zu Gute. Er redet ihnen ein, daß er ein Kunst redner sei und Niemand fragt, ob es wahr ist. Die Zeit wird ihnen freilich fürchterlich lang während solchen Deklamatoriums, aber ich fürchte, sie würde ihnen noch länger werden, wenn der Mann wirklich gut, einfach und natürlich vor- trüge, während er jetzt gerade das Gegentheil thut. Jch habe gefunden, daß verhältnißmäßig alles Nie- dere, Schlechte, Gemeine auf Erden die beste Auf- nahme findet.
"Das ist aber eine traurige Ansicht von der Welt; und gar für einen Künstler." --
Die Welt ist auch nicht lustig, Herr Baron; ich finde sie sehr traurig für einen Künstler: warum soll
Die Vagabunden. IV. 6
„Und giebt es Deren?“
Es giebt Deren. Glauben Sie mir, bei der Mehrzahl jener zweibeinigen Geſchoͤpfe, die ſich das Recht anmaßen, Menſchen genannt zu werden, kommt es nur darauf an, ſie einzuſchuͤchtern, ihnen frech ent- gegen zu treten, ſie in Grund und Boden zu ſprechen. Geſchmack, eigenen, ſelbſtſtaͤndigen Geſchmack beſitzen und uͤben die Wenigſten; ſogar unter denen, die ſich fuͤr gebildete Leute halten, iſt er ſelten. Das kommt einem rohen, unverſchaͤmten Luͤmmel, von Jhres Nachbars Gattung, zu Gute. Er redet ihnen ein, daß er ein Kunſt redner ſei und Niemand fragt, ob es wahr iſt. Die Zeit wird ihnen freilich fuͤrchterlich lang waͤhrend ſolchen Deklamatoriums, aber ich fuͤrchte, ſie wuͤrde ihnen noch laͤnger werden, wenn der Mann wirklich gut, einfach und natuͤrlich vor- truͤge, waͤhrend er jetzt gerade das Gegentheil thut. Jch habe gefunden, daß verhaͤltnißmaͤßig alles Nie- dere, Schlechte, Gemeine auf Erden die beſte Auf- nahme findet.
„Das iſt aber eine traurige Anſicht von der Welt; und gar fuͤr einen Kuͤnſtler.“ —
Die Welt iſt auch nicht luſtig, Herr Baron; ich finde ſie ſehr traurig fuͤr einen Kuͤnſtler: warum ſoll
Die Vagabunden. IV. 6
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„Und giebt es Deren?“
Es giebt Deren. Glauben Sie mir, bei der
Mehrzahl jener zweibeinigen Geſchoͤpfe, die ſich das
Recht anmaßen, Menſchen genannt zu werden, kommt
es nur darauf an, ſie einzuſchuͤchtern, ihnen frech ent-
gegen zu treten, ſie in Grund und Boden zu ſprechen.
Geſchmack, eigenen, ſelbſtſtaͤndigen Geſchmack beſitzen
und uͤben die Wenigſten; ſogar unter denen, die ſich
fuͤr gebildete Leute halten, iſt er ſelten. Das kommt
einem rohen, unverſchaͤmten Luͤmmel, von Jhres
Nachbars Gattung, zu Gute. Er redet ihnen ein,
daß er ein Kunſt redner ſei und Niemand fragt, ob
es wahr iſt. Die Zeit wird ihnen freilich fuͤrchterlich
lang waͤhrend ſolchen Deklamatoriums, aber ich
fuͤrchte, ſie wuͤrde ihnen noch laͤnger werden, wenn
der Mann wirklich gut, einfach und natuͤrlich vor-
truͤge, waͤhrend er jetzt gerade das Gegentheil thut.
Jch habe gefunden, daß verhaͤltnißmaͤßig alles Nie-
dere, Schlechte, Gemeine auf Erden die beſte Auf-
nahme findet.
„Das iſt aber eine traurige Anſicht von der Welt;
und gar fuͤr einen Kuͤnſtler.“ —
Die Welt iſt auch nicht luſtig, Herr Baron; ich
finde ſie ſehr traurig fuͤr einen Kuͤnſtler: warum ſoll
Die Vagabunden. IV. 6
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/85>, abgerufen am 05.07.2024.
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