nun einmal bezahlen, und darf's nicht mit Küssen sein, laßt es mit Worten geschehen."
Rosalie schwieg einige Minuten, während welchen sie Anton betrachtete. Dann hub sie in ernsthafterem Tone, wie bisher, an:
Jch weiß nicht, warum es mir unmöglich ist, die Verstellung, ja die Lüge, worein ich mich vor allen Menschen hülle, die ich auch Jhnen entgegentrug, jetzt länger fortzusetzen. Eine Empfindung eigener Art, -- weiß ich doch kaum, ob ich sie Mitleid nennen soll? -- drängt mich, gegen Sie aufrichtig zu sein. Vielleicht entspringt sie aus einer Ahnung, daß die Frivolität, die Sie zu zeigen erstreben, nicht minder erheuchelt sei, als jene, mit welcher ich prahle; daß auch Jhr Herz von heißen Schmerzen zerrissen ist, daß auch über Jhr junges Haupt Jammer, Noth, Elend und Verzweiflung schon ihre glühenden Scha- len ausgegossen haben, wie über das meine. Fort mit der Lüge! Fort mit erquälter Lustigkeit, mit frechen Witzen. Sehen Sie mich, wie ich bin, und wenn es Jhnen weh' thut, in einen solchen Abgrund des Gra- mes zu schauen, dann um so besser für Sie. Mir ist nicht mehr zu helfen. Jhnen kann ich vielleicht nützen, wär' es auch nur dadurch, daß, mit meinem Unglück
nun einmal bezahlen, und darf’s nicht mit Kuͤſſen ſein, laßt es mit Worten geſchehen.“
Roſalie ſchwieg einige Minuten, waͤhrend welchen ſie Anton betrachtete. Dann hub ſie in ernſthafterem Tone, wie bisher, an:
Jch weiß nicht, warum es mir unmoͤglich iſt, die Verſtellung, ja die Luͤge, worein ich mich vor allen Menſchen huͤlle, die ich auch Jhnen entgegentrug, jetzt laͤnger fortzuſetzen. Eine Empfindung eigener Art, — weiß ich doch kaum, ob ich ſie Mitleid nennen ſoll? — draͤngt mich, gegen Sie aufrichtig zu ſein. Vielleicht entſpringt ſie aus einer Ahnung, daß die Frivolitaͤt, die Sie zu zeigen erſtreben, nicht minder erheuchelt ſei, als jene, mit welcher ich prahle; daß auch Jhr Herz von heißen Schmerzen zerriſſen iſt, daß auch uͤber Jhr junges Haupt Jammer, Noth, Elend und Verzweiflung ſchon ihre gluͤhenden Scha- len ausgegoſſen haben, wie uͤber das meine. Fort mit der Luͤge! Fort mit erquaͤlter Luſtigkeit, mit frechen Witzen. Sehen Sie mich, wie ich bin, und wenn es Jhnen weh’ thut, in einen ſolchen Abgrund des Gra- mes zu ſchauen, dann um ſo beſſer fuͤr Sie. Mir iſt nicht mehr zu helfen. Jhnen kann ich vielleicht nuͤtzen, waͤr’ es auch nur dadurch, daß, mit meinem Ungluͤck
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nun einmal bezahlen, und darf’s nicht mit Kuͤſſen
ſein, laßt es mit Worten geſchehen.“
Roſalie ſchwieg einige Minuten, waͤhrend welchen
ſie Anton betrachtete. Dann hub ſie in ernſthafterem
Tone, wie bisher, an:
Jch weiß nicht, warum es mir unmoͤglich iſt, die
Verſtellung, ja die Luͤge, worein ich mich vor allen
Menſchen huͤlle, die ich auch Jhnen entgegentrug,
jetzt laͤnger fortzuſetzen. Eine Empfindung eigener
Art, — weiß ich doch kaum, ob ich ſie Mitleid nennen
ſoll? — draͤngt mich, gegen Sie aufrichtig zu ſein.
Vielleicht entſpringt ſie aus einer Ahnung, daß die
Frivolitaͤt, die Sie zu zeigen erſtreben, nicht minder
erheuchelt ſei, als jene, mit welcher ich prahle; daß
auch Jhr Herz von heißen Schmerzen zerriſſen iſt,
daß auch uͤber Jhr junges Haupt Jammer, Noth,
Elend und Verzweiflung ſchon ihre gluͤhenden Scha-
len ausgegoſſen haben, wie uͤber das meine. Fort mit
der Luͤge! Fort mit erquaͤlter Luſtigkeit, mit frechen
Witzen. Sehen Sie mich, wie ich bin, und wenn es
Jhnen weh’ thut, in einen ſolchen Abgrund des Gra-
mes zu ſchauen, dann um ſo beſſer fuͤr Sie. Mir iſt
nicht mehr zu helfen. Jhnen kann ich vielleicht nuͤtzen,
waͤr’ es auch nur dadurch, daß, mit meinem Ungluͤck
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/17>, abgerufen am 16.02.2025.
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