Hedwig liebte Anton wie ihre erste, ihre täglich zunehmende, ihre letzte Liebe; wie nur ein junges Weib lieben kann, dem das Glück zu Theil wurde, den Jnbegriff ihrer unschuldigsten, jungfräulichsten Neigung und Sehnsucht im Gatten umarmen zu dürfen. Wenn solche Liebe, solche Anhänglichkeit überhaupt jemals erlöschen kann, so darf man bei- nahe mit Gewißheit annehmen, der Gemahl habe sie durch seine Schuld erstickt. Was aber Anton hätte anwenden müssen, um Hedwig's Herz, Gemüth und Seele von sich abzuwenden, das weiß ich wirk- lich gar nicht; meine Phantasie ist zu dürftig, Mög- lichkeiten dafür auszusinnen. Dennoch zweifelte der in seinen Ansprüchen unersättliche Honig-Mond-süch- tige bisweilen an der begehrten Ausschließlichkeit die- ses Besitzes, weil die Geliebte sich durch keine Gewalt ehelicher Liebe von Erfüllung kindlicher Pflichten abhalten ließ. Aus diesen Zweifeln ging eine kleine Eifersucht hervor; eine ganz kleine, junge, niedliche, mit welcher Hedwig spielend fertig wurde, weil einn Wort von ihr, ein Blick genügten, das Scheusälchen in die Flucht zu schlagen, in den Win- kel zu treiben, wo es sich verbergen mußte, und eben nur so viel Macht behielt, der glühend'sten Zärtlich-
Hedwig liebte Anton wie ihre erſte, ihre taͤglich zunehmende, ihre letzte Liebe; wie nur ein junges Weib lieben kann, dem das Gluͤck zu Theil wurde, den Jnbegriff ihrer unſchuldigſten, jungfraͤulichſten Neigung und Sehnſucht im Gatten umarmen zu duͤrfen. Wenn ſolche Liebe, ſolche Anhaͤnglichkeit uͤberhaupt jemals erloͤſchen kann, ſo darf man bei- nahe mit Gewißheit annehmen, der Gemahl habe ſie durch ſeine Schuld erſtickt. Was aber Anton haͤtte anwenden muͤſſen, um Hedwig’s Herz, Gemuͤth und Seele von ſich abzuwenden, das weiß ich wirk- lich gar nicht; meine Phantaſie iſt zu duͤrftig, Moͤg- lichkeiten dafuͤr auszuſinnen. Dennoch zweifelte der in ſeinen Anſpruͤchen unerſaͤttliche Honig-Mond-ſuͤch- tige bisweilen an der begehrten Ausſchließlichkeit die- ſes Beſitzes, weil die Geliebte ſich durch keine Gewalt ehelicher Liebe von Erfuͤllung kindlicher Pflichten abhalten ließ. Aus dieſen Zweifeln ging eine kleine Eiferſucht hervor; eine ganz kleine, junge, niedliche, mit welcher Hedwig ſpielend fertig wurde, weil eiñ Wort von ihr, ein Blick genuͤgten, das Scheuſaͤlchen in die Flucht zu ſchlagen, in den Win- kel zu treiben, wo es ſich verbergen mußte, und eben nur ſo viel Macht behielt, der gluͤhend’ſten Zaͤrtlich-
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Hedwig liebte Anton wie ihre erſte, ihre taͤglich
zunehmende, ihre letzte Liebe; wie nur ein junges
Weib lieben kann, dem das Gluͤck zu Theil wurde,
den Jnbegriff ihrer unſchuldigſten, jungfraͤulichſten
Neigung und Sehnſucht im Gatten umarmen zu
duͤrfen. Wenn ſolche Liebe, ſolche Anhaͤnglichkeit
uͤberhaupt jemals erloͤſchen kann, ſo darf man bei-
nahe mit Gewißheit annehmen, der Gemahl habe ſie
durch ſeine Schuld erſtickt. Was aber Anton haͤtte
anwenden muͤſſen, um Hedwig’s Herz, Gemuͤth
und Seele von ſich abzuwenden, das weiß ich wirk-
lich gar nicht; meine Phantaſie iſt zu duͤrftig, Moͤg-
lichkeiten dafuͤr auszuſinnen. Dennoch zweifelte der
in ſeinen Anſpruͤchen unerſaͤttliche Honig-Mond-ſuͤch-
tige bisweilen an der begehrten Ausſchließlichkeit die-
ſes Beſitzes, weil die Geliebte ſich durch keine
Gewalt ehelicher Liebe von Erfuͤllung kindlicher
Pflichten abhalten ließ. Aus dieſen Zweifeln ging
eine kleine Eiferſucht hervor; eine ganz kleine, junge,
niedliche, mit welcher Hedwig ſpielend fertig wurde,
weil eiñ Wort von ihr, ein Blick genuͤgten, das
Scheuſaͤlchen in die Flucht zu ſchlagen, in den Win-
kel zu treiben, wo es ſich verbergen mußte, und eben
nur ſo viel Macht behielt, der gluͤhend’ſten Zaͤrtlich-
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/162>, abgerufen am 16.02.2025.
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