"Weine nicht!" rief Hedwig, "es ist Dir schäd- lich, Deine armen Augen sind immer entzündet."
Weine nicht! entgegnete der Vater; weine nicht! Wie oft müßt' ich Dir das zurufen! Du weinst so viel. Meinst Du, ich höre das nicht? Laß' mir auch die Freude; solche Thränen sind Freudethränen; sie gelten der besten Tochter, die ich Unwürdiger gar nicht verdiene; und wenn sie den Augen weh' thun, so hole der Teufel die Augen; dem Herzen thun sie wohl. Oder glaubst Du, ich hätte kein Herz?
"Horch, Vater, ein Posthorn! -- Ein Reise- wagen! Vier Pferde vor. Sie halten bei der Post!"
Es wird der Divisionsgeneral sein; er geht zur Truppenübung. -- Na, da mußt Du mir wohl die gute Uniform heraussuchen; da heißt's morgen früh seine Aufwartung machen. Ja, der Herr General! War Fähndrich, da ich schon Lieutenant war! Jetzt ist er General und ich bin ein alter, armer Krüppel. Aber, weißt Du was, Hedwig? Seine Tochter ist eine kalte, hochnasige Dame! Jch tausche nicht mit Jhnen, lieber General. Behalten Sie Jhre Würde und laßt mir meine Hedwig! Daß Du's nur weißt: in sein Haus, zu seinen Enkelchen solltest Du kom- men, als Gouvernante. Er ist ein braver Kamerad,
„Weine nicht!“ rief Hedwig, „es iſt Dir ſchaͤd- lich, Deine armen Augen ſind immer entzuͤndet.“
Weine nicht! entgegnete der Vater; weine nicht! Wie oft muͤßt’ ich Dir das zurufen! Du weinſt ſo viel. Meinſt Du, ich hoͤre das nicht? Laß’ mir auch die Freude; ſolche Thraͤnen ſind Freudethraͤnen; ſie gelten der beſten Tochter, die ich Unwuͤrdiger gar nicht verdiene; und wenn ſie den Augen weh’ thun, ſo hole der Teufel die Augen; dem Herzen thun ſie wohl. Oder glaubſt Du, ich haͤtte kein Herz?
„Horch, Vater, ein Poſthorn! — Ein Reiſe- wagen! Vier Pferde vor. Sie halten bei der Poſt!“
Es wird der Diviſionsgeneral ſein; er geht zur Truppenuͤbung. — Na, da mußt Du mir wohl die gute Uniform herausſuchen; da heißt’s morgen fruͤh ſeine Aufwartung machen. Ja, der Herr General! War Faͤhndrich, da ich ſchon Lieutenant war! Jetzt iſt er General und ich bin ein alter, armer Kruͤppel. Aber, weißt Du was, Hedwig? Seine Tochter iſt eine kalte, hochnaſige Dame! Jch tauſche nicht mit Jhnen, lieber General. Behalten Sie Jhre Wuͤrde und laßt mir meine Hedwig! Daß Du’s nur weißt: in ſein Haus, zu ſeinen Enkelchen ſollteſt Du kom- men, als Gouvernante. Er iſt ein braver Kamerad,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0142"n="138"/><p>„Weine nicht!“ rief Hedwig, „es iſt Dir ſchaͤd-<lb/>
lich, Deine armen Augen ſind immer entzuͤndet.“</p><lb/><p>Weine nicht! entgegnete der Vater; weine nicht!<lb/>
Wie oft muͤßt’ ich Dir das zurufen! Du weinſt ſo<lb/>
viel. Meinſt Du, ich hoͤre das nicht? Laß’ mir auch<lb/>
die Freude; ſolche Thraͤnen ſind Freudethraͤnen; ſie<lb/>
gelten der beſten Tochter, die ich Unwuͤrdiger gar<lb/>
nicht verdiene; und wenn ſie den Augen weh’ thun,<lb/>ſo hole der Teufel die Augen; dem Herzen thun ſie<lb/>
wohl. Oder glaubſt Du, ich haͤtte kein Herz?</p><lb/><p>„Horch, Vater, ein Poſthorn! — Ein Reiſe-<lb/>
wagen! Vier Pferde vor. Sie halten bei der Poſt!“</p><lb/><p>Es wird der Diviſionsgeneral ſein; er geht zur<lb/>
Truppenuͤbung. — Na, da mußt Du mir wohl die<lb/>
gute Uniform herausſuchen; da heißt’s morgen fruͤh<lb/>ſeine Aufwartung machen. Ja, der Herr General!<lb/>
War Faͤhndrich, da ich ſchon Lieutenant war! Jetzt<lb/>
iſt er General und ich bin ein alter, armer Kruͤppel.<lb/>
Aber, weißt Du was, Hedwig? Seine Tochter iſt<lb/>
eine kalte, hochnaſige Dame! Jch tauſche nicht mit<lb/>
Jhnen, lieber General. Behalten Sie Jhre Wuͤrde<lb/>
und laßt mir meine Hedwig! Daß Du’s nur weißt:<lb/>
in <hirendition="#g">ſein</hi> Haus, zu ſeinen Enkelchen ſollteſt Du kom-<lb/>
men, als Gouvernante. Er iſt ein braver Kamerad,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[138/0142]
„Weine nicht!“ rief Hedwig, „es iſt Dir ſchaͤd-
lich, Deine armen Augen ſind immer entzuͤndet.“
Weine nicht! entgegnete der Vater; weine nicht!
Wie oft muͤßt’ ich Dir das zurufen! Du weinſt ſo
viel. Meinſt Du, ich hoͤre das nicht? Laß’ mir auch
die Freude; ſolche Thraͤnen ſind Freudethraͤnen; ſie
gelten der beſten Tochter, die ich Unwuͤrdiger gar
nicht verdiene; und wenn ſie den Augen weh’ thun,
ſo hole der Teufel die Augen; dem Herzen thun ſie
wohl. Oder glaubſt Du, ich haͤtte kein Herz?
„Horch, Vater, ein Poſthorn! — Ein Reiſe-
wagen! Vier Pferde vor. Sie halten bei der Poſt!“
Es wird der Diviſionsgeneral ſein; er geht zur
Truppenuͤbung. — Na, da mußt Du mir wohl die
gute Uniform herausſuchen; da heißt’s morgen fruͤh
ſeine Aufwartung machen. Ja, der Herr General!
War Faͤhndrich, da ich ſchon Lieutenant war! Jetzt
iſt er General und ich bin ein alter, armer Kruͤppel.
Aber, weißt Du was, Hedwig? Seine Tochter iſt
eine kalte, hochnaſige Dame! Jch tauſche nicht mit
Jhnen, lieber General. Behalten Sie Jhre Wuͤrde
und laßt mir meine Hedwig! Daß Du’s nur weißt:
in ſein Haus, zu ſeinen Enkelchen ſollteſt Du kom-
men, als Gouvernante. Er iſt ein braver Kamerad,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/142>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.