halter, von allen Leuten erbat er mit aufgehobenen Händen, wie der Bettelknabe um einen Pfennig, nur Ruhe; nur Einsamkeit!
Doch war er nicht allein.
Und wer, so fragen wir, wer von Allen, denen wir, mit ihm, in diesem Buche begegnet sind, die wir, mit ihm, kennen, vielleicht lieben, vielleicht hassen lernten, wer war denn jetzt bei ihm während dieser heiligen Dämmerstunde?
Ach, wer denn sonst, als seine Großmutter! Sie, sie allein. Ja, sie lebte vor ihm, er sah sie, sie sprach mit ihm, sie stand vor seinem Sessel, legte die dürre, zitternde Hand auf seine Locken und er schaute sie weinend an und lispelte traurig: Zürnst Du mir nicht? Liebst Du noch Deinen bösen, wilden, leicht- sinnigen Anton? Ja, Großmutter, es ist wahr, ich habe Dich vergessen; habe Dein Angedenken in mei- ner Seele verbleichen lassen, wie die Unschuld meiner Kinderzeit. Jch bin schlecht gewesen, undankbar, und wenn Du kamst, mich zu mahnen an Deine Abschieds- stunde, hab' ich Dir nicht Rede gestanden. Es ist wahr. Doch liebst Du mich noch, und ich liebe Dich auch; niemals hab' ich aufgehört, Dich zu lieben, das fühl' ich heute, fühl' ich jetzt mehr, als je. Alles
halter, von allen Leuten erbat er mit aufgehobenen Haͤnden, wie der Bettelknabe um einen Pfennig, nur Ruhe; nur Einſamkeit!
Doch war er nicht allein.
Und wer, ſo fragen wir, wer von Allen, denen wir, mit ihm, in dieſem Buche begegnet ſind, die wir, mit ihm, kennen, vielleicht lieben, vielleicht haſſen lernten, wer war denn jetzt bei ihm waͤhrend dieſer heiligen Daͤmmerſtunde?
Ach, wer denn ſonſt, als ſeine Großmutter! Sie, ſie allein. Ja, ſie lebte vor ihm, er ſah ſie, ſie ſprach mit ihm, ſie ſtand vor ſeinem Seſſel, legte die duͤrre, zitternde Hand auf ſeine Locken und er ſchaute ſie weinend an und lispelte traurig: Zuͤrnſt Du mir nicht? Liebſt Du noch Deinen boͤſen, wilden, leicht- ſinnigen Anton? Ja, Großmutter, es iſt wahr, ich habe Dich vergeſſen; habe Dein Angedenken in mei- ner Seele verbleichen laſſen, wie die Unſchuld meiner Kinderzeit. Jch bin ſchlecht geweſen, undankbar, und wenn Du kamſt, mich zu mahnen an Deine Abſchieds- ſtunde, hab’ ich Dir nicht Rede geſtanden. Es iſt wahr. Doch liebſt Du mich noch, und ich liebe Dich auch; niemals hab’ ich aufgehoͤrt, Dich zu lieben, das fuͤhl’ ich heute, fuͤhl’ ich jetzt mehr, als je. Alles
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halter, von allen Leuten erbat er mit aufgehobenen
Haͤnden, wie der Bettelknabe um einen Pfennig, nur
Ruhe; nur Einſamkeit!
Doch war er nicht allein.
Und wer, ſo fragen wir, wer von Allen, denen
wir, mit ihm, in dieſem Buche begegnet ſind, die wir,
mit ihm, kennen, vielleicht lieben, vielleicht haſſen
lernten, wer war denn jetzt bei ihm waͤhrend dieſer
heiligen Daͤmmerſtunde?
Ach, wer denn ſonſt, als ſeine Großmutter! Sie,
ſie allein. Ja, ſie lebte vor ihm, er ſah ſie, ſie ſprach
mit ihm, ſie ſtand vor ſeinem Seſſel, legte die duͤrre,
zitternde Hand auf ſeine Locken und er ſchaute ſie
weinend an und lispelte traurig: Zuͤrnſt Du mir
nicht? Liebſt Du noch Deinen boͤſen, wilden, leicht-
ſinnigen Anton? Ja, Großmutter, es iſt wahr, ich
habe Dich vergeſſen; habe Dein Angedenken in mei-
ner Seele verbleichen laſſen, wie die Unſchuld meiner
Kinderzeit. Jch bin ſchlecht geweſen, undankbar, und
wenn Du kamſt, mich zu mahnen an Deine Abſchieds-
ſtunde, hab’ ich Dir nicht Rede geſtanden. Es iſt
wahr. Doch liebſt Du mich noch, und ich liebe Dich
auch; niemals hab’ ich aufgehoͤrt, Dich zu lieben,
das fuͤhl’ ich heute, fuͤhl’ ich jetzt mehr, als je. Alles
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/104>, abgerufen am 27.07.2024.
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