Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

halter, von allen Leuten erbat er mit aufgehobenen
Händen, wie der Bettelknabe um einen Pfennig, nur
Ruhe; nur Einsamkeit!

Doch war er nicht allein.

Und wer, so fragen wir, wer von Allen, denen
wir, mit ihm, in diesem Buche begegnet sind, die wir,
mit ihm, kennen, vielleicht lieben, vielleicht hassen
lernten, wer war denn jetzt bei ihm während dieser
heiligen Dämmerstunde?

Ach, wer denn sonst, als seine Großmutter! Sie,
sie allein. Ja, sie lebte vor ihm, er sah sie, sie sprach
mit ihm, sie stand vor seinem Sessel, legte die dürre,
zitternde Hand auf seine Locken und er schaute sie
weinend an und lispelte traurig: Zürnst Du mir
nicht? Liebst Du noch Deinen bösen, wilden, leicht-
sinnigen Anton? Ja, Großmutter, es ist wahr, ich
habe Dich vergessen; habe Dein Angedenken in mei-
ner Seele verbleichen lassen, wie die Unschuld meiner
Kinderzeit. Jch bin schlecht gewesen, undankbar, und
wenn Du kamst, mich zu mahnen an Deine Abschieds-
stunde, hab' ich Dir nicht Rede gestanden. Es ist
wahr. Doch liebst Du mich noch, und ich liebe Dich
auch; niemals hab' ich aufgehört, Dich zu lieben,
das fühl' ich heute, fühl' ich jetzt mehr, als je. Alles

halter, von allen Leuten erbat er mit aufgehobenen
Haͤnden, wie der Bettelknabe um einen Pfennig, nur
Ruhe; nur Einſamkeit!

Doch war er nicht allein.

Und wer, ſo fragen wir, wer von Allen, denen
wir, mit ihm, in dieſem Buche begegnet ſind, die wir,
mit ihm, kennen, vielleicht lieben, vielleicht haſſen
lernten, wer war denn jetzt bei ihm waͤhrend dieſer
heiligen Daͤmmerſtunde?

Ach, wer denn ſonſt, als ſeine Großmutter! Sie,
ſie allein. Ja, ſie lebte vor ihm, er ſah ſie, ſie ſprach
mit ihm, ſie ſtand vor ſeinem Seſſel, legte die duͤrre,
zitternde Hand auf ſeine Locken und er ſchaute ſie
weinend an und lispelte traurig: Zuͤrnſt Du mir
nicht? Liebſt Du noch Deinen boͤſen, wilden, leicht-
ſinnigen Anton? Ja, Großmutter, es iſt wahr, ich
habe Dich vergeſſen; habe Dein Angedenken in mei-
ner Seele verbleichen laſſen, wie die Unſchuld meiner
Kinderzeit. Jch bin ſchlecht geweſen, undankbar, und
wenn Du kamſt, mich zu mahnen an Deine Abſchieds-
ſtunde, hab’ ich Dir nicht Rede geſtanden. Es iſt
wahr. Doch liebſt Du mich noch, und ich liebe Dich
auch; niemals hab’ ich aufgehoͤrt, Dich zu lieben,
das fuͤhl’ ich heute, fuͤhl’ ich jetzt mehr, als je. Alles

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="100"/>
halter, von allen Leuten erbat er mit aufgehobenen<lb/>
Ha&#x0364;nden, wie der Bettelknabe um einen Pfennig, nur<lb/>
Ruhe; nur Ein&#x017F;amkeit!</p><lb/>
        <p>Doch war er nicht allein.</p><lb/>
        <p>Und wer, &#x017F;o fragen wir, wer von Allen, denen<lb/>
wir, mit ihm, in die&#x017F;em Buche begegnet &#x017F;ind, die wir,<lb/>
mit ihm, kennen, vielleicht lieben, vielleicht ha&#x017F;&#x017F;en<lb/>
lernten, wer war denn jetzt bei ihm wa&#x0364;hrend die&#x017F;er<lb/>
heiligen Da&#x0364;mmer&#x017F;tunde?</p><lb/>
        <p>Ach, wer denn &#x017F;on&#x017F;t, als &#x017F;eine Großmutter! Sie,<lb/>
&#x017F;ie allein. Ja, &#x017F;ie lebte vor ihm, er &#x017F;ah &#x017F;ie, &#x017F;ie &#x017F;prach<lb/>
mit ihm, &#x017F;ie &#x017F;tand vor &#x017F;einem Se&#x017F;&#x017F;el, legte die du&#x0364;rre,<lb/>
zitternde Hand auf &#x017F;eine Locken und er &#x017F;chaute &#x017F;ie<lb/>
weinend an und lispelte traurig: Zu&#x0364;rn&#x017F;t Du mir<lb/>
nicht? Lieb&#x017F;t Du noch Deinen bo&#x0364;&#x017F;en, wilden, leicht-<lb/>
&#x017F;innigen Anton? Ja, Großmutter, es i&#x017F;t wahr, ich<lb/>
habe Dich verge&#x017F;&#x017F;en; habe Dein Angedenken in mei-<lb/>
ner Seele verbleichen la&#x017F;&#x017F;en, wie die Un&#x017F;chuld meiner<lb/>
Kinderzeit. Jch bin &#x017F;chlecht gewe&#x017F;en, undankbar, und<lb/>
wenn Du kam&#x017F;t, mich zu mahnen an Deine Ab&#x017F;chieds-<lb/>
&#x017F;tunde, hab&#x2019; ich Dir nicht Rede ge&#x017F;tanden. Es i&#x017F;t<lb/>
wahr. Doch lieb&#x017F;t Du mich noch, und ich liebe Dich<lb/>
auch; niemals hab&#x2019; ich aufgeho&#x0364;rt, Dich zu lieben,<lb/>
das fu&#x0364;hl&#x2019; ich heute, fu&#x0364;hl&#x2019; ich jetzt mehr, als je. Alles<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0104] halter, von allen Leuten erbat er mit aufgehobenen Haͤnden, wie der Bettelknabe um einen Pfennig, nur Ruhe; nur Einſamkeit! Doch war er nicht allein. Und wer, ſo fragen wir, wer von Allen, denen wir, mit ihm, in dieſem Buche begegnet ſind, die wir, mit ihm, kennen, vielleicht lieben, vielleicht haſſen lernten, wer war denn jetzt bei ihm waͤhrend dieſer heiligen Daͤmmerſtunde? Ach, wer denn ſonſt, als ſeine Großmutter! Sie, ſie allein. Ja, ſie lebte vor ihm, er ſah ſie, ſie ſprach mit ihm, ſie ſtand vor ſeinem Seſſel, legte die duͤrre, zitternde Hand auf ſeine Locken und er ſchaute ſie weinend an und lispelte traurig: Zuͤrnſt Du mir nicht? Liebſt Du noch Deinen boͤſen, wilden, leicht- ſinnigen Anton? Ja, Großmutter, es iſt wahr, ich habe Dich vergeſſen; habe Dein Angedenken in mei- ner Seele verbleichen laſſen, wie die Unſchuld meiner Kinderzeit. Jch bin ſchlecht geweſen, undankbar, und wenn Du kamſt, mich zu mahnen an Deine Abſchieds- ſtunde, hab’ ich Dir nicht Rede geſtanden. Es iſt wahr. Doch liebſt Du mich noch, und ich liebe Dich auch; niemals hab’ ich aufgehoͤrt, Dich zu lieben, das fuͤhl’ ich heute, fuͤhl’ ich jetzt mehr, als je. Alles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/104
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/104>, abgerufen am 24.11.2024.