ausgesprochen, ihn selbst in eigener Seele. Jn Jta- lien hatte er mit lüsternem Behagen ausrufen hören: "o, wie gut er spielt! Wie lieblich er aussieht! Welch' ein schöner Mensch!" Jn Deutschland schnitt es ihm wie ein Messer durch's Herz, wenn sie um ihn her murmelten: "Seht nur den Geiger; schade um den hübschen Burschen!"
Und wohlgethan wär' es gewesen, wenn er, sei- nen besseren Empfindungen gehorsam, hier gleich den Vertrag mit Geronimo aufgehoben hätte: sein Antheil am Baarbestande der Kasse belief sich schon auf mehr als hundert Silbergulden. Damit konnt' er, weiter wandernd, ein gutes Stück Weges machen. Doch seine Gutmüthigkeit ließ ihn zögern -- und zögern -- und abermals war ihm beschieden, den bittersten Bodensatz des Kelches zu leeren. Frei sollt' er wie- der werden von den jetzigen Banden, aber ohne den Lohn seiner Erniedrigung davon zu tragen.
Sie befanden sich auf dem Wege aus Tyrol nach M. Schon seit Trient, wo Geronimo wiederum nächtlich-heimliche Unterredungen gepflogen und nachher mehrere Briefe verbrannt hatte, bemerkte Anton wie er zerstreut, verstört, unruhvoll sei. Sogar mit der Violine, die den musikliebenden Veronesen
ausgeſprochen, ihn ſelbſt in eigener Seele. Jn Jta- lien hatte er mit luͤſternem Behagen ausrufen hoͤren: „o, wie gut er ſpielt! Wie lieblich er ausſieht! Welch’ ein ſchoͤner Menſch!“ Jn Deutſchland ſchnitt es ihm wie ein Meſſer durch’s Herz, wenn ſie um ihn her murmelten: „Seht nur den Geiger; ſchade um den huͤbſchen Burſchen!“
Und wohlgethan waͤr’ es geweſen, wenn er, ſei- nen beſſeren Empfindungen gehorſam, hier gleich den Vertrag mit Geronimo aufgehoben haͤtte: ſein Antheil am Baarbeſtande der Kaſſe belief ſich ſchon auf mehr als hundert Silbergulden. Damit konnt’ er, weiter wandernd, ein gutes Stuͤck Weges machen. Doch ſeine Gutmuͤthigkeit ließ ihn zoͤgern — und zoͤgern — und abermals war ihm beſchieden, den bitterſten Bodenſatz des Kelches zu leeren. Frei ſollt’ er wie- der werden von den jetzigen Banden, aber ohne den Lohn ſeiner Erniedrigung davon zu tragen.
Sie befanden ſich auf dem Wege aus Tyrol nach M. Schon ſeit Trient, wo Geronimo wiederum naͤchtlich-heimliche Unterredungen gepflogen und nachher mehrere Briefe verbrannt hatte, bemerkte Anton wie er zerſtreut, verſtoͤrt, unruhvoll ſei. Sogar mit der Violine, die den muſikliebenden Veroneſen
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ausgeſprochen, ihn ſelbſt in eigener Seele. Jn Jta-
lien hatte er mit luͤſternem Behagen ausrufen hoͤren:
„o, wie gut er ſpielt! Wie lieblich er ausſieht!
Welch’ ein ſchoͤner Menſch!“ Jn Deutſchland ſchnitt
es ihm wie ein Meſſer durch’s Herz, wenn ſie um
ihn her murmelten: „Seht nur den Geiger; ſchade
um den huͤbſchen Burſchen!“
Und wohlgethan waͤr’ es geweſen, wenn er, ſei-
nen beſſeren Empfindungen gehorſam, hier gleich den
Vertrag mit Geronimo aufgehoben haͤtte: ſein Antheil
am Baarbeſtande der Kaſſe belief ſich ſchon auf mehr
als hundert Silbergulden. Damit konnt’ er, weiter
wandernd, ein gutes Stuͤck Weges machen. Doch
ſeine Gutmuͤthigkeit ließ ihn zoͤgern — und zoͤgern
— und abermals war ihm beſchieden, den bitterſten
Bodenſatz des Kelches zu leeren. Frei ſollt’ er wie-
der werden von den jetzigen Banden, aber ohne den
Lohn ſeiner Erniedrigung davon zu tragen.
Sie befanden ſich auf dem Wege aus Tyrol nach
M. Schon ſeit Trient, wo Geronimo wiederum
naͤchtlich-heimliche Unterredungen gepflogen und
nachher mehrere Briefe verbrannt hatte, bemerkte
Anton wie er zerſtreut, verſtoͤrt, unruhvoll ſei. Sogar
mit der Violine, die den muſikliebenden Veroneſen
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/93>, abgerufen am 26.07.2024.
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