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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

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Sagen Sie mir die volle Wahrheit. Schlimmer
kann sie ja doch nicht sein, als der Ausgang den sie
herbeigeführt hat. Doch auch das Schlimmste ist mir
willkommen, weil ich klar sehen will. Sie erweisen
mir, wenn Sie dies thun, einen großen Dienst; und
wäre wie ich vermuthen darf, Jhr Gewissen nicht völlig
rein gegen mich, so dürfte Jhnen selbst erwünscht sein,
sich durch dieses mir gewidmete Opfer zu erleichtern."

Anton war tief ergriffen. Nur allzu lebhaft
empfand er das Gewicht des ihm gemachten Vor-
wurfs; um desto lebhafter, je mäßiger die Anklage
gestellt wurde. Er beichtete. Vom ersten Abende
an, wo er Bärbel im großen französischen Theater
gesehen, bis zum letzten, wo er den in Lüften verhal-
lenden Ruf seines Namens, auf der Flucht vor ihr
und ihrer wild-glühenden Leidenschaft, durch die
Nacht zittern gehört.

"Also auch Sie," hub nach langem Schweigen der
Kranke an, "also auch Sie waren bezaubert, verzaubert
vielmehr durch die unerforschliche Macht dieses teuf-
lischen Engels? Bei Jhnen auch erlosch dieses Zau-
bers furchtbare Gewalt, als der schönste Körper zer-
schmettert, verstümmelt, grauenhaft entstellt, die
falsche Seele ausgehaucht? Nun, sagt' ich nicht, Jhre

Sagen Sie mir die volle Wahrheit. Schlimmer
kann ſie ja doch nicht ſein, als der Ausgang den ſie
herbeigefuͤhrt hat. Doch auch das Schlimmſte iſt mir
willkommen, weil ich klar ſehen will. Sie erweiſen
mir, wenn Sie dies thun, einen großen Dienſt; und
waͤre wie ich vermuthen darf, Jhr Gewiſſen nicht voͤllig
rein gegen mich, ſo duͤrfte Jhnen ſelbſt erwuͤnſcht ſein,
ſich durch dieſes mir gewidmete Opfer zu erleichtern.“

Anton war tief ergriffen. Nur allzu lebhaft
empfand er das Gewicht des ihm gemachten Vor-
wurfs; um deſto lebhafter, je maͤßiger die Anklage
geſtellt wurde. Er beichtete. Vom erſten Abende
an, wo er Baͤrbel im großen franzoͤſiſchen Theater
geſehen, bis zum letzten, wo er den in Luͤften verhal-
lenden Ruf ſeines Namens, auf der Flucht vor ihr
und ihrer wild-gluͤhenden Leidenſchaft, durch die
Nacht zittern gehoͤrt.

„Alſo auch Sie,“ hub nach langem Schweigen der
Kranke an, „alſo auch Sie waren bezaubert, verzaubert
vielmehr durch die unerforſchliche Macht dieſes teuf-
liſchen Engels? Bei Jhnen auch erloſch dieſes Zau-
bers furchtbare Gewalt, als der ſchoͤnſte Koͤrper zer-
ſchmettert, verſtuͤmmelt, grauenhaft entſtellt, die
falſche Seele ausgehaucht? Nun, ſagt’ ich nicht, Jhre

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[42/0046] Sagen Sie mir die volle Wahrheit. Schlimmer kann ſie ja doch nicht ſein, als der Ausgang den ſie herbeigefuͤhrt hat. Doch auch das Schlimmſte iſt mir willkommen, weil ich klar ſehen will. Sie erweiſen mir, wenn Sie dies thun, einen großen Dienſt; und waͤre wie ich vermuthen darf, Jhr Gewiſſen nicht voͤllig rein gegen mich, ſo duͤrfte Jhnen ſelbſt erwuͤnſcht ſein, ſich durch dieſes mir gewidmete Opfer zu erleichtern.“ Anton war tief ergriffen. Nur allzu lebhaft empfand er das Gewicht des ihm gemachten Vor- wurfs; um deſto lebhafter, je maͤßiger die Anklage geſtellt wurde. Er beichtete. Vom erſten Abende an, wo er Baͤrbel im großen franzoͤſiſchen Theater geſehen, bis zum letzten, wo er den in Luͤften verhal- lenden Ruf ſeines Namens, auf der Flucht vor ihr und ihrer wild-gluͤhenden Leidenſchaft, durch die Nacht zittern gehoͤrt. „Alſo auch Sie,“ hub nach langem Schweigen der Kranke an, „alſo auch Sie waren bezaubert, verzaubert vielmehr durch die unerforſchliche Macht dieſes teuf- liſchen Engels? Bei Jhnen auch erloſch dieſes Zau- bers furchtbare Gewalt, als der ſchoͤnſte Koͤrper zer- ſchmettert, verſtuͤmmelt, grauenhaft entſtellt, die falſche Seele ausgehaucht? Nun, ſagt’ ich nicht, Jhre

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/46>, abgerufen am 04.12.2024.