Der Herbst war schön. Das Felleisen, worin er seine Habseligkeiten beherbergte, hing wohl schwer, doch bequem zu tragen auf seinem starken Rücken und er mußte lächeln, wenn er es mit jenem ungeschickten Bündel verglich, welches ihn vor vier Jahren bei sei- ner Flucht aus dem Häuschen der Großmutter schier zu Boden gezogen. Von den Folgen der Krankheit empfand er nichts mehr. Die Jugendkraft, die ihn neu belebt und belebend durchströmte, spottete jeder Anstrengung, jeder Ermattung. Seine Tagebuchblät- ter sauber abgeschrieben und wohlgeordnet gaben nur noch ein mäßiges Heft, das wenig Raum einnahm. Auch die Violine, seine alte treue Begleiterin und Trösterin seit P., wo er sie kaufte, wo sie ihm ein- same Winterabende verkürzte, machte diesmal die Fußwanderung in leichtem Gewande von Wachs- leinen mit. Von den Büchern freilich hatte er sich lossagen müssen: deutsche, französische, englische, an die sich vielerlei Erinnerungen gekettet. Doch tröstete ihn die Hoffnung auf italienischen Ersatz, dem er ja recht eigentlich entgegen ging. Hernach versteh' ich schon vier Sprachen! sagte er, sich selbst beruhigend über den Verlust jener papierenen Freunde, welche ihm durch manche schwere oder leere Stunde geholfen.
Der Herbſt war ſchoͤn. Das Felleiſen, worin er ſeine Habſeligkeiten beherbergte, hing wohl ſchwer, doch bequem zu tragen auf ſeinem ſtarken Ruͤcken und er mußte laͤcheln, wenn er es mit jenem ungeſchickten Buͤndel verglich, welches ihn vor vier Jahren bei ſei- ner Flucht aus dem Haͤuschen der Großmutter ſchier zu Boden gezogen. Von den Folgen der Krankheit empfand er nichts mehr. Die Jugendkraft, die ihn neu belebt und belebend durchſtroͤmte, ſpottete jeder Anſtrengung, jeder Ermattung. Seine Tagebuchblaͤt- ter ſauber abgeſchrieben und wohlgeordnet gaben nur noch ein maͤßiges Heft, das wenig Raum einnahm. Auch die Violine, ſeine alte treue Begleiterin und Troͤſterin ſeit P., wo er ſie kaufte, wo ſie ihm ein- ſame Winterabende verkuͤrzte, machte diesmal die Fußwanderung in leichtem Gewande von Wachs- leinen mit. Von den Buͤchern freilich hatte er ſich losſagen muͤſſen: deutſche, franzoͤſiſche, engliſche, an die ſich vielerlei Erinnerungen gekettet. Doch troͤſtete ihn die Hoffnung auf italieniſchen Erſatz, dem er ja recht eigentlich entgegen ging. Hernach verſteh’ ich ſchon vier Sprachen! ſagte er, ſich ſelbſt beruhigend uͤber den Verluſt jener papierenen Freunde, welche ihm durch manche ſchwere oder leere Stunde geholfen.
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Der Herbſt war ſchoͤn. Das Felleiſen, worin er
ſeine Habſeligkeiten beherbergte, hing wohl ſchwer,
doch bequem zu tragen auf ſeinem ſtarken Ruͤcken und
er mußte laͤcheln, wenn er es mit jenem ungeſchickten
Buͤndel verglich, welches ihn vor vier Jahren bei ſei-
ner Flucht aus dem Haͤuschen der Großmutter ſchier
zu Boden gezogen. Von den Folgen der Krankheit
empfand er nichts mehr. Die Jugendkraft, die ihn
neu belebt und belebend durchſtroͤmte, ſpottete jeder
Anſtrengung, jeder Ermattung. Seine Tagebuchblaͤt-
ter ſauber abgeſchrieben und wohlgeordnet gaben nur
noch ein maͤßiges Heft, das wenig Raum einnahm.
Auch die Violine, ſeine alte treue Begleiterin und
Troͤſterin ſeit P., wo er ſie kaufte, wo ſie ihm ein-
ſame Winterabende verkuͤrzte, machte diesmal die
Fußwanderung in leichtem Gewande von Wachs-
leinen mit. Von den Buͤchern freilich hatte er ſich
losſagen muͤſſen: deutſche, franzoͤſiſche, engliſche, an
die ſich vielerlei Erinnerungen gekettet. Doch troͤſtete
ihn die Hoffnung auf italieniſchen Erſatz, dem er ja
recht eigentlich entgegen ging. Hernach verſteh’ ich
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uͤber den Verluſt jener papierenen Freunde, welche
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/31>, abgerufen am 04.12.2024.
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