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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

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ihren Sohn! Und sie legte in feierlicher Mitternacht
vor sich selbst wie vor Gott einen heiligen Schwur
ab, Du dürfest sie erst erkennen, wenn sie ein Leich-
nam geworden. Ja, das soll meine Buße sein. Jm
Augenblick des Verscheidens noch will ich sie festhal-
ten. Jch will hinüber gehen, ohne aus Deinem
Munde das Wort: "meine Mutter!" vernom-
men zu haben.

Aber Anton, wenn ich nun wirklich todt bin,
wenn ich regungslos auf meinem Sterbebette liege,
wenn Du diese Blätter liesest und bis an diese von
meinen Zähren verwischten Zeilen kommst ... nicht
wahr, dann halten Grausen und Ekel Dich nicht
zurück? Dann senkst Du Dein schönes Haupt auf
meinen Todtenkopf hernieder und giebst den blauen,
kalten Lippen einen kindlichen Versöhnungskuß?

Jch werde ihn empfinden diesen Kuß!



ihren Sohn! Und ſie legte in feierlicher Mitternacht
vor ſich ſelbſt wie vor Gott einen heiligen Schwur
ab, Du duͤrfeſt ſie erſt erkennen, wenn ſie ein Leich-
nam geworden. Ja, das ſoll meine Buße ſein. Jm
Augenblick des Verſcheidens noch will ich ſie feſthal-
ten. Jch will hinuͤber gehen, ohne aus Deinem
Munde das Wort: „meine Mutter!“ vernom-
men zu haben.

Aber Anton, wenn ich nun wirklich todt bin,
wenn ich regungslos auf meinem Sterbebette liege,
wenn Du dieſe Blaͤtter lieſeſt und bis an dieſe von
meinen Zaͤhren verwiſchten Zeilen kommſt ... nicht
wahr, dann halten Grauſen und Ekel Dich nicht
zuruͤck? Dann ſenkſt Du Dein ſchoͤnes Haupt auf
meinen Todtenkopf hernieder und giebſt den blauen,
kalten Lippen einen kindlichen Verſoͤhnungskuß?

Jch werde ihn empfinden dieſen Kuß!



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[270/0274] ihren Sohn! Und ſie legte in feierlicher Mitternacht vor ſich ſelbſt wie vor Gott einen heiligen Schwur ab, Du duͤrfeſt ſie erſt erkennen, wenn ſie ein Leich- nam geworden. Ja, das ſoll meine Buße ſein. Jm Augenblick des Verſcheidens noch will ich ſie feſthal- ten. Jch will hinuͤber gehen, ohne aus Deinem Munde das Wort: „meine Mutter!“ vernom- men zu haben. Aber Anton, wenn ich nun wirklich todt bin, wenn ich regungslos auf meinem Sterbebette liege, wenn Du dieſe Blaͤtter lieſeſt und bis an dieſe von meinen Zaͤhren verwiſchten Zeilen kommſt ... nicht wahr, dann halten Grauſen und Ekel Dich nicht zuruͤck? Dann ſenkſt Du Dein ſchoͤnes Haupt auf meinen Todtenkopf hernieder und giebſt den blauen, kalten Lippen einen kindlichen Verſoͤhnungskuß? Jch werde ihn empfinden dieſen Kuß!

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/274>, abgerufen am 05.12.2024.