suchte meine nähere Bekanntschaft, die zu machen ihm desto leichter wurde, weil er sich bald als Landsmann kund gab; weil ich nach kurzer Unterhaltung in unse- rer Muttersprache den Sohn des ehrlichen Karich in ihm erkannte; des armen Gerbermeisters, der mich bei meiner Flucht so väterlich aufgenommen. Es machte auf diesen leidenschaftlichen jungen Mann tie- fen Eindruck, aus meinem Munde zu vernehmen, welch' bittern Schmerz sein Entweichen den armen Eltern verursache! Leider durft' ich ihm keine Vor- würfe machen; hatte leider kein Recht mehr, ihn zu tadeln, der seine Eltern betrübte, während ich das Bewußtsein in meinem Busen trug, nicht blos, gleich ihm, ein undankbares Kind, sondern auch eine schlechte Mutter zu heißen; wobei ich doch ängstlich und vor- sichtig Sorge trug, weder meinen Geburtsort, noch den Namen meiner Eltern, oder sonst irgend etwas zu nennen, was Andere kompromittiren könne. Gleiche Schuld, gleiches Leid, gleiche Reue, -- immer wieder durch die Macht des Augenblicks über- wältiget! -- gleiche Liebe für die Tonkunst, und daß ich's nur gestehe: gleicher Hang zum Leichtsinn führte uns Beide in's vertrauteste Beisammenleben. Jch galt für sein Weib und nannte mich bald nach ihm
ſuchte meine naͤhere Bekanntſchaft, die zu machen ihm deſto leichter wurde, weil er ſich bald als Landsmann kund gab; weil ich nach kurzer Unterhaltung in unſe- rer Mutterſprache den Sohn des ehrlichen Karich in ihm erkannte; des armen Gerbermeiſters, der mich bei meiner Flucht ſo vaͤterlich aufgenommen. Es machte auf dieſen leidenſchaftlichen jungen Mann tie- fen Eindruck, aus meinem Munde zu vernehmen, welch’ bittern Schmerz ſein Entweichen den armen Eltern verurſache! Leider durft’ ich ihm keine Vor- wuͤrfe machen; hatte leider kein Recht mehr, ihn zu tadeln, der ſeine Eltern betruͤbte, waͤhrend ich das Bewußtſein in meinem Buſen trug, nicht blos, gleich ihm, ein undankbares Kind, ſondern auch eine ſchlechte Mutter zu heißen; wobei ich doch aͤngſtlich und vor- ſichtig Sorge trug, weder meinen Geburtsort, noch den Namen meiner Eltern, oder ſonſt irgend etwas zu nennen, was Andere kompromittiren koͤnne. Gleiche Schuld, gleiches Leid, gleiche Reue, — immer wieder durch die Macht des Augenblicks uͤber- waͤltiget! — gleiche Liebe fuͤr die Tonkunſt, und daß ich’s nur geſtehe: gleicher Hang zum Leichtſinn fuͤhrte uns Beide in’s vertrauteſte Beiſammenleben. Jch galt fuͤr ſein Weib und nannte mich bald nach ihm
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ſuchte meine naͤhere Bekanntſchaft, die zu machen ihm
deſto leichter wurde, weil er ſich bald als Landsmann
kund gab; weil ich nach kurzer Unterhaltung in unſe-
rer Mutterſprache den Sohn des ehrlichen Karich in
ihm erkannte; des armen Gerbermeiſters, der mich
bei meiner Flucht ſo vaͤterlich aufgenommen. Es
machte auf dieſen leidenſchaftlichen jungen Mann tie-
fen Eindruck, aus meinem Munde zu vernehmen,
welch’ bittern Schmerz ſein Entweichen den armen
Eltern verurſache! Leider durft’ ich ihm keine Vor-
wuͤrfe machen; hatte leider kein Recht mehr, ihn zu
tadeln, der ſeine Eltern betruͤbte, waͤhrend ich das
Bewußtſein in meinem Buſen trug, nicht blos, gleich
ihm, ein undankbares Kind, ſondern auch eine ſchlechte
Mutter zu heißen; wobei ich doch aͤngſtlich und vor-
ſichtig Sorge trug, weder meinen Geburtsort, noch
den Namen meiner Eltern, oder ſonſt irgend etwas
zu nennen, was Andere kompromittiren koͤnne.
Gleiche Schuld, gleiches Leid, gleiche Reue, —
immer wieder durch die Macht des Augenblicks uͤber-
waͤltiget! — gleiche Liebe fuͤr die Tonkunſt, und daß
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/264>, abgerufen am 05.12.2024.
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