erwarte sie hier. Sie mögen uns im Wohnzimmer erwarten. Ordnen Sie Jhr Haar, nehmen Sie mein Mäntelchen um, welches auf dem Bette liegt, setzen Sie sich mit meiner Stickerei ans Fenster. Sie sind meines Oheims Tochter, Louise; sind ein schüch- ternes Mädchen, verlegen, ohne viele Worte; besu- chen mich auf einen Tag -- für das übrige wird der liebe Gott sorgen." --
Jch schlüpfte in's Haus und that, wie mir gebo- ten. Kaum saß ich, den Strickstrumpf in der Hand, auf dem mir angewiesenen Stuhl am Fenster, so ging die Thür auf und die Pastorin trat ein mit der Erwarteten, -- Gefürchteten. Wahrscheinlich hatte mich die Beschreibung, welche von "Muhme Luise" schon draußen im Hausflur gemacht worden, jeder Annäherung Seitens der jungen Gräfin überhoben. Sie nahm Platz neben ihrer Freundin auf dem Sopha, nachdem sie mich freundlich begrüßt und weiter nicht beachtet hatte. Ohne sich durch meine Anwesenheit stören zu lassen, setzte sie das Gespräch mit der Pasto- rin fort, welches nur Armen-Angelegenheiten des Dorfes betraf. Sie sagte unter anderem: ich kann Jhnen das Alles nicht ersparen, liebe Auguste, und Sie müssen mich geduldig anhören; vielleicht ist die
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erwarte ſie hier. Sie moͤgen uns im Wohnzimmer erwarten. Ordnen Sie Jhr Haar, nehmen Sie mein Maͤntelchen um, welches auf dem Bette liegt, ſetzen Sie ſich mit meiner Stickerei ans Fenſter. Sie ſind meines Oheims Tochter, Louiſe; ſind ein ſchuͤch- ternes Maͤdchen, verlegen, ohne viele Worte; beſu- chen mich auf einen Tag — fuͤr das uͤbrige wird der liebe Gott ſorgen.“ —
Jch ſchluͤpfte in’s Haus und that, wie mir gebo- ten. Kaum ſaß ich, den Strickſtrumpf in der Hand, auf dem mir angewieſenen Stuhl am Fenſter, ſo ging die Thuͤr auf und die Paſtorin trat ein mit der Erwarteten, — Gefuͤrchteten. Wahrſcheinlich hatte mich die Beſchreibung, welche von „Muhme Luiſe“ ſchon draußen im Hausflur gemacht worden, jeder Annaͤherung Seitens der jungen Graͤfin uͤberhoben. Sie nahm Platz neben ihrer Freundin auf dem Sopha, nachdem ſie mich freundlich begruͤßt und weiter nicht beachtet hatte. Ohne ſich durch meine Anweſenheit ſtoͤren zu laſſen, ſetzte ſie das Geſpraͤch mit der Paſto- rin fort, welches nur Armen-Angelegenheiten des Dorfes betraf. Sie ſagte unter anderem: ich kann Jhnen das Alles nicht erſparen, liebe Auguſte, und Sie muͤſſen mich geduldig anhoͤren; vielleicht iſt die
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erwarte ſie hier. Sie moͤgen uns im Wohnzimmer
erwarten. Ordnen Sie Jhr Haar, nehmen Sie
mein Maͤntelchen um, welches auf dem Bette liegt,
ſetzen Sie ſich mit meiner Stickerei ans Fenſter. Sie
ſind meines Oheims Tochter, Louiſe; ſind ein ſchuͤch-
ternes Maͤdchen, verlegen, ohne viele Worte; beſu-
chen mich auf einen Tag — fuͤr das uͤbrige wird der
liebe Gott ſorgen.“ —
Jch ſchluͤpfte in’s Haus und that, wie mir gebo-
ten. Kaum ſaß ich, den Strickſtrumpf in der Hand,
auf dem mir angewieſenen Stuhl am Fenſter, ſo
ging die Thuͤr auf und die Paſtorin trat ein mit der
Erwarteten, — Gefuͤrchteten. Wahrſcheinlich hatte
mich die Beſchreibung, welche von „Muhme Luiſe“
ſchon draußen im Hausflur gemacht worden, jeder
Annaͤherung Seitens der jungen Graͤfin uͤberhoben.
Sie nahm Platz neben ihrer Freundin auf dem Sopha,
nachdem ſie mich freundlich begruͤßt und weiter nicht
beachtet hatte. Ohne ſich durch meine Anweſenheit
ſtoͤren zu laſſen, ſetzte ſie das Geſpraͤch mit der Paſto-
rin fort, welches nur Armen-Angelegenheiten des
Dorfes betraf. Sie ſagte unter anderem: ich kann
Jhnen das Alles nicht erſparen, liebe Auguſte, und
Sie muͤſſen mich geduldig anhoͤren; vielleicht iſt die
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/247>, abgerufen am 26.07.2024.
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