noch eine andere Thüre als jene, durch welche wir vom Wohnzimmer herein gekommen waren: eine Glasthüre. Jch blickte durch die Scheiben und sah in ein großes, unermeßlich langes Orangen-Haus mit einem hoch zur Decke grünendem Wald von Zitronen- und Pomeranzen-Bäumen. Draußen kämpfte der bleiche Mond mit wilden Regenschauern und streifen- den Schneewolken, -- da drinn war es so still, so heimlich, so blühend-duftig. Es zog mich hinein, wie in ein gelobtes Land. Das ist Jtalien, rief ich aus, und wandelte unter den herrlichen Bäumen. Der Mond schimmerte bisweilen durch's dunkelgrüne Laub.
Jch habe mir vorgesetzt, Dir, meinem Sohne, eine Beichte abzulegen in diesen Zeilen; Dir nichts zu verschweigen, Anton! Deshalb muß ich auch hier die Wahrheit gestehen. Sie wird Dir unglaublich scheinen.
Kannst Du es fassen, daß in meine Verzweiflung, in die Vernichtung, die vor einer Stunde über mich hereingebrochen, jetzt schon neue Lebenslust mit nie- geahneten Hoffnungen und Regungen blickte, -- dem Monde gleich, durch zerrissenes Gewölk. Ja, indem ich verstoßen, elend, heimathlos, ein irrender Flücht- ling umherschwankte; vom Geliebten verleugnet, von den Eltern geschieden durch meinen trotzigen Entschluß,
noch eine andere Thuͤre als jene, durch welche wir vom Wohnzimmer herein gekommen waren: eine Glasthuͤre. Jch blickte durch die Scheiben und ſah in ein großes, unermeßlich langes Orangen-Haus mit einem hoch zur Decke gruͤnendem Wald von Zitronen- und Pomeranzen-Baͤumen. Draußen kaͤmpfte der bleiche Mond mit wilden Regenſchauern und ſtreifen- den Schneewolken, — da drinn war es ſo ſtill, ſo heimlich, ſo bluͤhend-duftig. Es zog mich hinein, wie in ein gelobtes Land. Das iſt Jtalien, rief ich aus, und wandelte unter den herrlichen Baͤumen. Der Mond ſchimmerte bisweilen durch’s dunkelgruͤne Laub.
Jch habe mir vorgeſetzt, Dir, meinem Sohne, eine Beichte abzulegen in dieſen Zeilen; Dir nichts zu verſchweigen, Anton! Deshalb muß ich auch hier die Wahrheit geſtehen. Sie wird Dir unglaublich ſcheinen.
Kannſt Du es faſſen, daß in meine Verzweiflung, in die Vernichtung, die vor einer Stunde uͤber mich hereingebrochen, jetzt ſchon neue Lebensluſt mit nie- geahneten Hoffnungen und Regungen blickte, — dem Monde gleich, durch zerriſſenes Gewoͤlk. Ja, indem ich verſtoßen, elend, heimathlos, ein irrender Fluͤcht- ling umherſchwankte; vom Geliebten verleugnet, von den Eltern geſchieden durch meinen trotzigen Entſchluß,
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noch eine andere Thuͤre als jene, durch welche wir
vom Wohnzimmer herein gekommen waren: eine
Glasthuͤre. Jch blickte durch die Scheiben und ſah in
ein großes, unermeßlich langes Orangen-Haus mit
einem hoch zur Decke gruͤnendem Wald von Zitronen-
und Pomeranzen-Baͤumen. Draußen kaͤmpfte der
bleiche Mond mit wilden Regenſchauern und ſtreifen-
den Schneewolken, — da drinn war es ſo ſtill, ſo
heimlich, ſo bluͤhend-duftig. Es zog mich hinein, wie
in ein gelobtes Land. Das iſt Jtalien, rief ich aus,
und wandelte unter den herrlichen Baͤumen. Der
Mond ſchimmerte bisweilen durch’s dunkelgruͤne Laub.
Jch habe mir vorgeſetzt, Dir, meinem Sohne, eine
Beichte abzulegen in dieſen Zeilen; Dir nichts zu
verſchweigen, Anton! Deshalb muß ich auch hier die
Wahrheit geſtehen. Sie wird Dir unglaublich ſcheinen.
Kannſt Du es faſſen, daß in meine Verzweiflung,
in die Vernichtung, die vor einer Stunde uͤber mich
hereingebrochen, jetzt ſchon neue Lebensluſt mit nie-
geahneten Hoffnungen und Regungen blickte, — dem
Monde gleich, durch zerriſſenes Gewoͤlk. Ja, indem
ich verſtoßen, elend, heimathlos, ein irrender Fluͤcht-
ling umherſchwankte; vom Geliebten verleugnet, von
den Eltern geſchieden durch meinen trotzigen Entſchluß,
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/242>, abgerufen am 26.07.2024.
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