mich wieder die großen Hunde; sie geleiteten mich freundlich bis an das eiserne Gitter. Dort kehrten sie um und ich war allein.
Jch starrte lange in die fliegenden, zerrissenen Wolken, die der Abendwind vor sich her trieb; starrte hinein, ohne zu denken. Mein erster Gedanke war, da mir wieder Gedanken kamen, an Dich, Anton! Ach, und daß ich es Dir eingestehen muß, ich fühlte Haß gegen Dich! Das Bild Deines Vaters ver- mischte sich in meiner kranken Seele mit dem Deini- gen. Verzeihe mir, Anton!
Was ich wollte? Was ich beginnen sollte?
Jch wußt' es selbst nicht. Jch wußte nur, daß ich entschlossen sei, nie mehr heimzukehren, nie mehr meine Eltern, nie mehr mein Kind zu sehen. Jch schämte mich, eingestehen zu müssen, daß er mich ver- rathen, verlassen habe; daß sein freier Wille, nicht seiner Verhältnisse Zwang, ihn von mir geschieden. Jch hatte keinen Willen sonst, keine Absicht, keinen Wunsch, keine Hoffnung, ... nur ein Bedürfniß empfand ich, ein unabweisliches: die junge Gräfin, seine Braut zu sehen, die er Julie nannte; die ihn belehrt, was wahre Liebe sei!
Warum? Warum ich sie sehen wollte? Um,
mich wieder die großen Hunde; ſie geleiteten mich freundlich bis an das eiſerne Gitter. Dort kehrten ſie um und ich war allein.
Jch ſtarrte lange in die fliegenden, zerriſſenen Wolken, die der Abendwind vor ſich her trieb; ſtarrte hinein, ohne zu denken. Mein erſter Gedanke war, da mir wieder Gedanken kamen, an Dich, Anton! Ach, und daß ich es Dir eingeſtehen muß, ich fuͤhlte Haß gegen Dich! Das Bild Deines Vaters ver- miſchte ſich in meiner kranken Seele mit dem Deini- gen. Verzeihe mir, Anton!
Was ich wollte? Was ich beginnen ſollte?
Jch wußt’ es ſelbſt nicht. Jch wußte nur, daß ich entſchloſſen ſei, nie mehr heimzukehren, nie mehr meine Eltern, nie mehr mein Kind zu ſehen. Jch ſchaͤmte mich, eingeſtehen zu muͤſſen, daß er mich ver- rathen, verlaſſen habe; daß ſein freier Wille, nicht ſeiner Verhaͤltniſſe Zwang, ihn von mir geſchieden. Jch hatte keinen Willen ſonſt, keine Abſicht, keinen Wunſch, keine Hoffnung, ... nur ein Beduͤrfniß empfand ich, ein unabweisliches: die junge Graͤfin, ſeine Braut zu ſehen, die er Julie nannte; die ihn belehrt, was wahre Liebe ſei!
Warum? Warum ich ſie ſehen wollte? Um,
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mich wieder die großen Hunde; ſie geleiteten mich
freundlich bis an das eiſerne Gitter. Dort kehrten
ſie um und ich war allein.
Jch ſtarrte lange in die fliegenden, zerriſſenen
Wolken, die der Abendwind vor ſich her trieb; ſtarrte
hinein, ohne zu denken. Mein erſter Gedanke war,
da mir wieder Gedanken kamen, an Dich, Anton!
Ach, und daß ich es Dir eingeſtehen muß, ich fuͤhlte
Haß gegen Dich! Das Bild Deines Vaters ver-
miſchte ſich in meiner kranken Seele mit dem Deini-
gen. Verzeihe mir, Anton!
Was ich wollte? Was ich beginnen ſollte?
Jch wußt’ es ſelbſt nicht. Jch wußte nur, daß
ich entſchloſſen ſei, nie mehr heimzukehren, nie mehr
meine Eltern, nie mehr mein Kind zu ſehen. Jch
ſchaͤmte mich, eingeſtehen zu muͤſſen, daß er mich ver-
rathen, verlaſſen habe; daß ſein freier Wille, nicht
ſeiner Verhaͤltniſſe Zwang, ihn von mir geſchieden.
Jch hatte keinen Willen ſonſt, keine Abſicht, keinen
Wunſch, keine Hoffnung, ... nur ein Beduͤrfniß
empfand ich, ein unabweisliches: die junge Graͤfin,
ſeine Braut zu ſehen, die er Julie nannte; die ihn
belehrt, was wahre Liebe ſei!
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/240>, abgerufen am 26.07.2024.
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