Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

zuvor zu kommen, wollt' ich mich ihm entdecken, da
kam der Lakai zurück, öffnete rasch die zwei Flügel
einer Seitenthür und rief dem Haushofmeister zu:
die Excellenz-Frau. Und nun erblickt' ich sie, die
Mutter Deines Vaters, Anton! Die gefürchtete,
stolze, herzlose Frau, die ich zu finden erwartet hatte,
wie ihr Brief sie mir im Geiste gezeigt: majestätisch,
kalt, vornehm, in seidenen Gewändern einherrau-
schend, unzugänglich für den Armen, unerbittlich!
Doch was erblickten meine Augen? Eine etwas
gebückte, mehr kleine als große, freundliche Dame
von etwa fünfzig Jahren, einfach und schlicht geklei-
det, in ein graues Gewand, um Kopf und Schultern
einen schwarzen Spitzenschleier hangend, wie man es
häufig auf alten Bildern sieht. "Was willst Du,
mein armes Kind?" sagte sie, nachdem sie mich mit
einem Winke der Hand begrüßt. Diese, im sanfte-
sten Tone an mich gerichtete Frage, der Gedanke,
daß es Guido's Mutter sei, die mich "mein Kind"
anredete, .... ich sank zu ihren Füßen und ergriff
ihre Hand, sie zu küssen. Diese entzog sie mir heftig
und murmelte dabei: "nicht knieen, hübsch aufstehen
und ruhig mit mir reden; ich liebe solche Szenen
nicht, sie erwecken mir Argwohn, als ob ich's mit

15 *

zuvor zu kommen, wollt’ ich mich ihm entdecken, da
kam der Lakai zuruͤck, oͤffnete raſch die zwei Fluͤgel
einer Seitenthuͤr und rief dem Haushofmeiſter zu:
die Excellenz-Frau. Und nun erblickt’ ich ſie, die
Mutter Deines Vaters, Anton! Die gefuͤrchtete,
ſtolze, herzloſe Frau, die ich zu finden erwartet hatte,
wie ihr Brief ſie mir im Geiſte gezeigt: majeſtaͤtiſch,
kalt, vornehm, in ſeidenen Gewaͤndern einherrau-
ſchend, unzugaͤnglich fuͤr den Armen, unerbittlich!
Doch was erblickten meine Augen? Eine etwas
gebuͤckte, mehr kleine als große, freundliche Dame
von etwa fuͤnfzig Jahren, einfach und ſchlicht geklei-
det, in ein graues Gewand, um Kopf und Schultern
einen ſchwarzen Spitzenſchleier hangend, wie man es
haͤufig auf alten Bildern ſieht. „Was willſt Du,
mein armes Kind?“ ſagte ſie, nachdem ſie mich mit
einem Winke der Hand begruͤßt. Dieſe, im ſanfte-
ſten Tone an mich gerichtete Frage, der Gedanke,
daß es Guido’s Mutter ſei, die mich „mein Kind“
anredete, .... ich ſank zu ihren Fuͤßen und ergriff
ihre Hand, ſie zu kuͤſſen. Dieſe entzog ſie mir heftig
und murmelte dabei: „nicht knieen, huͤbſch aufſtehen
und ruhig mit mir reden; ich liebe ſolche Szenen
nicht, ſie erwecken mir Argwohn, als ob ich’s mit

15 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0231" n="227"/>
zuvor zu kommen, wollt&#x2019; ich mich ihm entdecken, da<lb/>
kam der Lakai zuru&#x0364;ck, o&#x0364;ffnete ra&#x017F;ch die zwei Flu&#x0364;gel<lb/>
einer Seitenthu&#x0364;r und rief dem Haushofmei&#x017F;ter zu:<lb/>
die Excellenz-Frau. Und nun erblickt&#x2019; ich &#x017F;ie, die<lb/>
Mutter Deines Vaters, Anton! Die gefu&#x0364;rchtete,<lb/>
&#x017F;tolze, herzlo&#x017F;e Frau, die ich zu finden erwartet hatte,<lb/>
wie ihr Brief &#x017F;ie mir im Gei&#x017F;te gezeigt: maje&#x017F;ta&#x0364;ti&#x017F;ch,<lb/>
kalt, vornehm, in &#x017F;eidenen Gewa&#x0364;ndern einherrau-<lb/>
&#x017F;chend, unzuga&#x0364;nglich fu&#x0364;r den Armen, unerbittlich!<lb/>
Doch was erblickten meine Augen? Eine etwas<lb/>
gebu&#x0364;ckte, mehr kleine als große, freundliche Dame<lb/>
von etwa fu&#x0364;nfzig Jahren, einfach und &#x017F;chlicht geklei-<lb/>
det, in ein graues Gewand, um Kopf und Schultern<lb/>
einen &#x017F;chwarzen Spitzen&#x017F;chleier hangend, wie man es<lb/>
ha&#x0364;ufig auf alten Bildern &#x017F;ieht. &#x201E;Was will&#x017F;t Du,<lb/>
mein armes Kind?&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie, nachdem &#x017F;ie mich mit<lb/>
einem Winke der Hand begru&#x0364;ßt. Die&#x017F;e, im &#x017F;anfte-<lb/>
&#x017F;ten Tone an mich gerichtete Frage, der Gedanke,<lb/>
daß es <hi rendition="#g">Guido&#x2019;s</hi> Mutter &#x017F;ei, die <hi rendition="#g">mich</hi> &#x201E;mein Kind&#x201C;<lb/>
anredete, .... ich &#x017F;ank zu ihren Fu&#x0364;ßen und ergriff<lb/>
ihre Hand, &#x017F;ie zu ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;e entzog &#x017F;ie mir heftig<lb/>
und murmelte dabei: &#x201E;nicht knieen, hu&#x0364;b&#x017F;ch auf&#x017F;tehen<lb/>
und ruhig mit mir reden; ich liebe &#x017F;olche Szenen<lb/>
nicht, &#x017F;ie erwecken mir Argwohn, als ob ich&#x2019;s mit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0231] zuvor zu kommen, wollt’ ich mich ihm entdecken, da kam der Lakai zuruͤck, oͤffnete raſch die zwei Fluͤgel einer Seitenthuͤr und rief dem Haushofmeiſter zu: die Excellenz-Frau. Und nun erblickt’ ich ſie, die Mutter Deines Vaters, Anton! Die gefuͤrchtete, ſtolze, herzloſe Frau, die ich zu finden erwartet hatte, wie ihr Brief ſie mir im Geiſte gezeigt: majeſtaͤtiſch, kalt, vornehm, in ſeidenen Gewaͤndern einherrau- ſchend, unzugaͤnglich fuͤr den Armen, unerbittlich! Doch was erblickten meine Augen? Eine etwas gebuͤckte, mehr kleine als große, freundliche Dame von etwa fuͤnfzig Jahren, einfach und ſchlicht geklei- det, in ein graues Gewand, um Kopf und Schultern einen ſchwarzen Spitzenſchleier hangend, wie man es haͤufig auf alten Bildern ſieht. „Was willſt Du, mein armes Kind?“ ſagte ſie, nachdem ſie mich mit einem Winke der Hand begruͤßt. Dieſe, im ſanfte- ſten Tone an mich gerichtete Frage, der Gedanke, daß es Guido’s Mutter ſei, die mich „mein Kind“ anredete, .... ich ſank zu ihren Fuͤßen und ergriff ihre Hand, ſie zu kuͤſſen. Dieſe entzog ſie mir heftig und murmelte dabei: „nicht knieen, huͤbſch aufſtehen und ruhig mit mir reden; ich liebe ſolche Szenen nicht, ſie erwecken mir Argwohn, als ob ich’s mit 15 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/231
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/231>, abgerufen am 27.11.2024.