Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.Sechsundsechszigstes Kapitel. Worin Antons Mutter dem Sohne eine kurze Schilderung ihres Lebens "Der unbarmherzige Brief, den Deines Vaters Sechsundſechszigſtes Kapitel. Worin Antons Mutter dem Sohne eine kurze Schilderung ihres Lebens „Der unbarmherzige Brief, den Deines Vaters <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0221" n="217"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Sechsundſechszigſtes Kapitel.</hi> </head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#c">Worin Antons Mutter dem Sohne eine kurze Schilderung ihres Lebens<lb/> hinterläßt.</hi> </p> </argument><lb/> <p>„Der unbarmherzige Brief, den Deines Vaters<lb/> Mutter, die ſtolze Graͤfin mir geſendet, hatte meinen<lb/> tiefen, demuͤthigen Schmerz in wilden Zorn verwan-<lb/> delt. Mein gerechter Stolz erhob ſich gegen die<lb/> unwuͤrdige Anklage, die mich hinſtellte, als haͤtte<lb/> Eigennutz mich Deinem Vater in die Arme gefuͤhrt.<lb/> Jch eilte zu den Bildhauerleuten, um bei dieſen mei-<lb/> nem Herzen Luft zu machen und zu erforſchen, in wie<lb/> weit ſie meine Liebe fuͤr den jungen Grafen benutzt<lb/> und ihn auf meine Rechnung und in meinem Namen<lb/> betrogen haben koͤnnten. Die Leute ſtaunten nicht<lb/> wenig, da ſie mich bei dem naͤchtlichen Unwetter ein-<lb/> treten ſahen und die Chriſtine ſagte mit frechem La-<lb/> chen zu ihrer Mutter: „jetzt wird der Graf auch nicht<lb/> weit ſein! Jch aber rief: vom Grafen iſt jetzt nicht<lb/> die Rede, lediglich von mir und Euch, und welchen<lb/> Handel Jhr mit mir und ihm vorgehabt. Jſt es<lb/> wahr, was mir ſeine alte ſtolze Mutter ſchreibt? Und<lb/> nun hielt ich ihnen vor, daß ſie von Guido Geld und<lb/> Geſchenke genommen, die fuͤr mich erbeten und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [217/0221]
Sechsundſechszigſtes Kapitel.
Worin Antons Mutter dem Sohne eine kurze Schilderung ihres Lebens
hinterläßt.
„Der unbarmherzige Brief, den Deines Vaters
Mutter, die ſtolze Graͤfin mir geſendet, hatte meinen
tiefen, demuͤthigen Schmerz in wilden Zorn verwan-
delt. Mein gerechter Stolz erhob ſich gegen die
unwuͤrdige Anklage, die mich hinſtellte, als haͤtte
Eigennutz mich Deinem Vater in die Arme gefuͤhrt.
Jch eilte zu den Bildhauerleuten, um bei dieſen mei-
nem Herzen Luft zu machen und zu erforſchen, in wie
weit ſie meine Liebe fuͤr den jungen Grafen benutzt
und ihn auf meine Rechnung und in meinem Namen
betrogen haben koͤnnten. Die Leute ſtaunten nicht
wenig, da ſie mich bei dem naͤchtlichen Unwetter ein-
treten ſahen und die Chriſtine ſagte mit frechem La-
chen zu ihrer Mutter: „jetzt wird der Graf auch nicht
weit ſein! Jch aber rief: vom Grafen iſt jetzt nicht
die Rede, lediglich von mir und Euch, und welchen
Handel Jhr mit mir und ihm vorgehabt. Jſt es
wahr, was mir ſeine alte ſtolze Mutter ſchreibt? Und
nun hielt ich ihnen vor, daß ſie von Guido Geld und
Geſchenke genommen, die fuͤr mich erbeten und
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