den Vaters dahinschlichen, mit Anton's Bilde aus- zufüllen. Nun war er selbst gekommen, und Alles war gekommen, wie wir's gelesen haben; -- dürfen wir uns wundern, wenn wir den vierundzwanzigjäh- rigen Lehrer zu den Füßen seiner sechszehnjährigen Schülerin knieend finden, ihr gestehend, daß er durch sie erst wahre Liebe kennen lernte; daß er nur sie im Herzen trage, seitdem er sie gesehen; daß er ohne sie nicht weiter leben wolle; und wie denn all' jene stets wiederkehrende Versicherungen lauten, die der Dumme dumm, der Kluge manchmal noch dümmer, der Lie- benswürdige mit Anmuth, der Plumpe tölpelhaft, der Gute ehrlich, der Hinterlistige schlau, jeder auf seine Weise vorbringt, ohne daß ein besonderer Unter- schied bei Einem oder dem Andern zu bemerken wäre.
Der erste Kniefall wurde mit gebührendem Entsetzen ab- und zurückgewiesen. Eine stumme Gebehrde deutete mit beredeter Drohung nach des Vaters Krankenzimmer und legte dem Sprachlusti- gen Schweigen auf. Man trennte sich kalt, ver- stimmt.
Der zweite Kniefall war von stummen Hand- küssen begleitet. Er brachte schon nicht mehr die abschreckende Wirkung von gestern hervor.
Die Vagabunden. III. 14
den Vaters dahinſchlichen, mit Anton’s Bilde aus- zufuͤllen. Nun war er ſelbſt gekommen, und Alles war gekommen, wie wir’s geleſen haben; — duͤrfen wir uns wundern, wenn wir den vierundzwanzigjaͤh- rigen Lehrer zu den Fuͤßen ſeiner ſechszehnjaͤhrigen Schuͤlerin knieend finden, ihr geſtehend, daß er durch ſie erſt wahre Liebe kennen lernte; daß er nur ſie im Herzen trage, ſeitdem er ſie geſehen; daß er ohne ſie nicht weiter leben wolle; und wie denn all’ jene ſtets wiederkehrende Verſicherungen lauten, die der Dumme dumm, der Kluge manchmal noch duͤmmer, der Lie- benswuͤrdige mit Anmuth, der Plumpe toͤlpelhaft, der Gute ehrlich, der Hinterliſtige ſchlau, jeder auf ſeine Weiſe vorbringt, ohne daß ein beſonderer Unter- ſchied bei Einem oder dem Andern zu bemerken waͤre.
Der erſte Kniefall wurde mit gebuͤhrendem Entſetzen ab- und zuruͤckgewieſen. Eine ſtumme Gebehrde deutete mit beredeter Drohung nach des Vaters Krankenzimmer und legte dem Sprachluſti- gen Schweigen auf. Man trennte ſich kalt, ver- ſtimmt.
Der zweite Kniefall war von ſtummen Hand- kuͤſſen begleitet. Er brachte ſchon nicht mehr die abſchreckende Wirkung von geſtern hervor.
Die Vagabunden. III. 14
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0213"n="209"/>
den Vaters dahinſchlichen, mit Anton’s Bilde aus-<lb/>
zufuͤllen. Nun war er ſelbſt gekommen, und Alles<lb/>
war gekommen, wie wir’s geleſen haben; — duͤrfen<lb/>
wir uns wundern, wenn wir den vierundzwanzigjaͤh-<lb/>
rigen Lehrer zu den Fuͤßen ſeiner ſechszehnjaͤhrigen<lb/>
Schuͤlerin knieend finden, ihr geſtehend, daß er durch<lb/><hirendition="#g">ſie</hi> erſt wahre Liebe kennen lernte; daß er nur ſie im<lb/>
Herzen trage, ſeitdem er ſie geſehen; daß er ohne ſie<lb/>
nicht weiter leben wolle; und wie denn all’ jene ſtets<lb/>
wiederkehrende Verſicherungen lauten, die der Dumme<lb/>
dumm, der Kluge manchmal noch duͤmmer, der Lie-<lb/>
benswuͤrdige mit Anmuth, der Plumpe toͤlpelhaft,<lb/>
der Gute ehrlich, der Hinterliſtige ſchlau, jeder auf<lb/>ſeine Weiſe vorbringt, ohne daß ein beſonderer Unter-<lb/>ſchied bei Einem oder dem Andern zu bemerken waͤre.</p><lb/><p>Der erſte Kniefall wurde mit gebuͤhrendem<lb/>
Entſetzen ab- und zuruͤckgewieſen. Eine ſtumme<lb/>
Gebehrde deutete mit beredeter Drohung nach des<lb/>
Vaters Krankenzimmer und legte dem Sprachluſti-<lb/>
gen Schweigen auf. Man trennte ſich kalt, ver-<lb/>ſtimmt.</p><lb/><p>Der zweite Kniefall war von ſtummen Hand-<lb/>
kuͤſſen begleitet. Er brachte ſchon nicht mehr die<lb/>
abſchreckende Wirkung von geſtern hervor.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">Die Vagabunden. <hirendition="#aq">III.</hi> 14</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[209/0213]
den Vaters dahinſchlichen, mit Anton’s Bilde aus-
zufuͤllen. Nun war er ſelbſt gekommen, und Alles
war gekommen, wie wir’s geleſen haben; — duͤrfen
wir uns wundern, wenn wir den vierundzwanzigjaͤh-
rigen Lehrer zu den Fuͤßen ſeiner ſechszehnjaͤhrigen
Schuͤlerin knieend finden, ihr geſtehend, daß er durch
ſie erſt wahre Liebe kennen lernte; daß er nur ſie im
Herzen trage, ſeitdem er ſie geſehen; daß er ohne ſie
nicht weiter leben wolle; und wie denn all’ jene ſtets
wiederkehrende Verſicherungen lauten, die der Dumme
dumm, der Kluge manchmal noch duͤmmer, der Lie-
benswuͤrdige mit Anmuth, der Plumpe toͤlpelhaft,
der Gute ehrlich, der Hinterliſtige ſchlau, jeder auf
ſeine Weiſe vorbringt, ohne daß ein beſonderer Unter-
ſchied bei Einem oder dem Andern zu bemerken waͤre.
Der erſte Kniefall wurde mit gebuͤhrendem
Entſetzen ab- und zuruͤckgewieſen. Eine ſtumme
Gebehrde deutete mit beredeter Drohung nach des
Vaters Krankenzimmer und legte dem Sprachluſti-
gen Schweigen auf. Man trennte ſich kalt, ver-
ſtimmt.
Der zweite Kniefall war von ſtummen Hand-
kuͤſſen begleitet. Er brachte ſchon nicht mehr die
abſchreckende Wirkung von geſtern hervor.
Die Vagabunden. III. 14
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/213>, abgerufen am 26.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.