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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

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selbst überlassen gewesen. Jn einem unbedingten
Vertrauen, welches der Vater ihm gegönnt, würde
Anton die heilige Verpflichtung gefunden und erkannt
haben, niemals, auch nur mit einer Silbe aus den
Grenzen verehrender Resignation heraus zu gehen.
Doch weil der Rittmeister sich als Wachtposten auf-
gestellt hatte, weil Anton sich beargwohnt sah, --
was Wunder, daß er wie Hedwig den Schlaf des
Wächters benützten und sich Dinge sagten, die (beide
vielleicht) in deutscher Sprache zu sagen nicht Muth
gehabt hätten, die aber jetzt, wo sie "als Uebung im
Reden" galten, immer weiter führten und eine Ver-
traulichkeit erzeugten, vor der Anton selbst erschrack,
da er zum Erstenmale ganz allein mit Hedwig war.

Und Hedwig ist auch nicht mehr das reine Kind,
wie wir es im einundsechszigsten Kapitel angedeutet.
Schon damals, wo sie einen so kühnen Schritt wagte,
dem namenlosen Geiger ihres Tanzmeisters heimlich
ein Geschenk von eigener Hände Arbeit zuzustecken,
hatte sie mit diesem Schritte einen bedenklichen Ueber-
gang aus der Unschuld ätherischer Träume in die
Gefahr der Wirklichkeit gethan. Länger als ein hal-
bes Jahr hatte sie Zeit gehabt, die freudlosen Tage,
die ihr an der Seite eines vereinsamten, lebensmü-

ſelbſt uͤberlaſſen geweſen. Jn einem unbedingten
Vertrauen, welches der Vater ihm gegoͤnnt, wuͤrde
Anton die heilige Verpflichtung gefunden und erkannt
haben, niemals, auch nur mit einer Silbe aus den
Grenzen verehrender Reſignation heraus zu gehen.
Doch weil der Rittmeiſter ſich als Wachtpoſten auf-
geſtellt hatte, weil Anton ſich beargwohnt ſah, —
was Wunder, daß er wie Hedwig den Schlaf des
Waͤchters benuͤtzten und ſich Dinge ſagten, die (beide
vielleicht) in deutſcher Sprache zu ſagen nicht Muth
gehabt haͤtten, die aber jetzt, wo ſie „als Uebung im
Reden“ galten, immer weiter fuͤhrten und eine Ver-
traulichkeit erzeugten, vor der Anton ſelbſt erſchrack,
da er zum Erſtenmale ganz allein mit Hedwig war.

Und Hedwig iſt auch nicht mehr das reine Kind,
wie wir es im einundſechszigſten Kapitel angedeutet.
Schon damals, wo ſie einen ſo kuͤhnen Schritt wagte,
dem namenloſen Geiger ihres Tanzmeiſters heimlich
ein Geſchenk von eigener Haͤnde Arbeit zuzuſtecken,
hatte ſie mit dieſem Schritte einen bedenklichen Ueber-
gang aus der Unſchuld aͤtheriſcher Traͤume in die
Gefahr der Wirklichkeit gethan. Laͤnger als ein hal-
bes Jahr hatte ſie Zeit gehabt, die freudloſen Tage,
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[208/0212] ſelbſt uͤberlaſſen geweſen. Jn einem unbedingten Vertrauen, welches der Vater ihm gegoͤnnt, wuͤrde Anton die heilige Verpflichtung gefunden und erkannt haben, niemals, auch nur mit einer Silbe aus den Grenzen verehrender Reſignation heraus zu gehen. Doch weil der Rittmeiſter ſich als Wachtpoſten auf- geſtellt hatte, weil Anton ſich beargwohnt ſah, — was Wunder, daß er wie Hedwig den Schlaf des Waͤchters benuͤtzten und ſich Dinge ſagten, die (beide vielleicht) in deutſcher Sprache zu ſagen nicht Muth gehabt haͤtten, die aber jetzt, wo ſie „als Uebung im Reden“ galten, immer weiter fuͤhrten und eine Ver- traulichkeit erzeugten, vor der Anton ſelbſt erſchrack, da er zum Erſtenmale ganz allein mit Hedwig war. Und Hedwig iſt auch nicht mehr das reine Kind, wie wir es im einundſechszigſten Kapitel angedeutet. Schon damals, wo ſie einen ſo kuͤhnen Schritt wagte, dem namenloſen Geiger ihres Tanzmeiſters heimlich ein Geſchenk von eigener Haͤnde Arbeit zuzuſtecken, hatte ſie mit dieſem Schritte einen bedenklichen Ueber- gang aus der Unſchuld aͤtheriſcher Traͤume in die Gefahr der Wirklichkeit gethan. Laͤnger als ein hal- bes Jahr hatte ſie Zeit gehabt, die freudloſen Tage, die ihr an der Seite eines vereinſamten, lebensmuͤ-

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/212>, abgerufen am 25.11.2024.