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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

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ihm und dem Lehrherrn häufig Streitigkeiten, sobald
der Jüngling den Meister meistern, Aenderungen
machen, oder Neuerungen einschwärzen wollte. Jhm
war unter Andern auch die Besorgung der Anschlage-
zettel anvertraut, die er natürlich auf Grund der
alten, schon vorhandenen drucken ließ. Auf einem
derselben befand sich im Personenverzeichniß ein Prie-
ster aufgeführt, mit der Bezeichnung: "Mufti, Ober-
bramine in Rom!" Diese Zusammenstellung dreier
höchst getrennter Kirchen in Eine schien dem Schüler
des wohlwürdigen Pastors von Liebenau denn doch
gar zu kühn, aber als er sich Einwendungen dagegen
erlaubte, wurde Herr Dreher sehr ungehalten: so hat
es bei meinem Vater geheißen, rief er zornig aus,
und ich bin nicht siebenzig alt geworden, um mich
von meinem Lehrbuben korrigiren zu lassen!

Dergleichen Zwistigkeiten, die stets durch weibliche
Vermittelung ausgeglichen wurden, abgerechnet, ging
Alles friedlich und still seinen Weg fort. Die kranke
Frau, wie sie von Tage zu Tage an Körperkraft und
Gesundheit verlor, gewann ebenso von Tage zu Tage
in Antons Meinung und Anhänglichkeit. Je genauer
und vertrauter sein Verkehr mit ihr wurde, desto auf-
richtiger lernte er ihr Gemüth, ihren Verstand, ihr

Die Vagabunden. III. 13

ihm und dem Lehrherrn haͤufig Streitigkeiten, ſobald
der Juͤngling den Meiſter meiſtern, Aenderungen
machen, oder Neuerungen einſchwaͤrzen wollte. Jhm
war unter Andern auch die Beſorgung der Anſchlage-
zettel anvertraut, die er natuͤrlich auf Grund der
alten, ſchon vorhandenen drucken ließ. Auf einem
derſelben befand ſich im Perſonenverzeichniß ein Prie-
ſter aufgefuͤhrt, mit der Bezeichnung: „Mufti, Ober-
bramine in Rom!“ Dieſe Zuſammenſtellung dreier
hoͤchſt getrennter Kirchen in Eine ſchien dem Schuͤler
des wohlwuͤrdigen Paſtors von Liebenau denn doch
gar zu kuͤhn, aber als er ſich Einwendungen dagegen
erlaubte, wurde Herr Dreher ſehr ungehalten: ſo hat
es bei meinem Vater geheißen, rief er zornig aus,
und ich bin nicht ſiebenzig alt geworden, um mich
von meinem Lehrbuben korrigiren zu laſſen!

Dergleichen Zwiſtigkeiten, die ſtets durch weibliche
Vermittelung ausgeglichen wurden, abgerechnet, ging
Alles friedlich und ſtill ſeinen Weg fort. Die kranke
Frau, wie ſie von Tage zu Tage an Koͤrperkraft und
Geſundheit verlor, gewann ebenſo von Tage zu Tage
in Antons Meinung und Anhaͤnglichkeit. Je genauer
und vertrauter ſein Verkehr mit ihr wurde, deſto auf-
richtiger lernte er ihr Gemuͤth, ihren Verſtand, ihr

Die Vagabunden. III. 13
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[193/0197] ihm und dem Lehrherrn haͤufig Streitigkeiten, ſobald der Juͤngling den Meiſter meiſtern, Aenderungen machen, oder Neuerungen einſchwaͤrzen wollte. Jhm war unter Andern auch die Beſorgung der Anſchlage- zettel anvertraut, die er natuͤrlich auf Grund der alten, ſchon vorhandenen drucken ließ. Auf einem derſelben befand ſich im Perſonenverzeichniß ein Prie- ſter aufgefuͤhrt, mit der Bezeichnung: „Mufti, Ober- bramine in Rom!“ Dieſe Zuſammenſtellung dreier hoͤchſt getrennter Kirchen in Eine ſchien dem Schuͤler des wohlwuͤrdigen Paſtors von Liebenau denn doch gar zu kuͤhn, aber als er ſich Einwendungen dagegen erlaubte, wurde Herr Dreher ſehr ungehalten: ſo hat es bei meinem Vater geheißen, rief er zornig aus, und ich bin nicht ſiebenzig alt geworden, um mich von meinem Lehrbuben korrigiren zu laſſen! Dergleichen Zwiſtigkeiten, die ſtets durch weibliche Vermittelung ausgeglichen wurden, abgerechnet, ging Alles friedlich und ſtill ſeinen Weg fort. Die kranke Frau, wie ſie von Tage zu Tage an Koͤrperkraft und Geſundheit verlor, gewann ebenſo von Tage zu Tage in Antons Meinung und Anhaͤnglichkeit. Je genauer und vertrauter ſein Verkehr mit ihr wurde, deſto auf- richtiger lernte er ihr Gemuͤth, ihren Verſtand, ihr Die Vagabunden. III. 13

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/197>, abgerufen am 24.11.2024.