Puppenspiel den jungen Mann auf unwiderstehliche Weise veranlaßt hatte. Sie wurde nicht müde, ihn um die kleinsten, scheinbar nichtigsten Ereignisse seines Lebens zu befragen; ihn auszuforschen bis auf den Grund seiner Seele. Und sie that dies mit so theil- nehmender Lebhaftigkeit, mit so bescheidener Freund- schaft, mit so liebevoller Würde, daß jede Falte in unseres Freundes Herzen sich vor dieser innigen Milde öffnete; daß er die geheimsten Regungen und Gedan- ken offenbarte. Wenn von seiner Mutter die Rede kam, -- und nur dann -- machte der Zuhörerin Be- nehmen einen unangenehmen Eindruck auf den Erzäh- ler. Denn während die kranke Frau Mitleid, Nach- sicht, billige Verzeihung und christliche Theilnahme allen Persönlichkeiten angedeihen ließ, die Antons Lebensweg durchkreuzt haben, gegen seine arme Mut- ter kannte sie kein Erbarmen; für ihr unmütterliches Betragen zeigte sie weder Schonung, noch Rechtfer- tigung. Sie sagte das Härteste von ihr; mit desto schärferer Zunge, je lebhafter Anton die Vertheidigung der Verstorbenen übernahm, so daß es ihm bisweilen vorkam, als vermehre sie die Anklagen nur, um den Vertheidiger immer wärmer zu machen. Wenn er aber dann sich selbst tadelte und die Anklagen gegen
Puppenſpiel den jungen Mann auf unwiderſtehliche Weiſe veranlaßt hatte. Sie wurde nicht muͤde, ihn um die kleinſten, ſcheinbar nichtigſten Ereigniſſe ſeines Lebens zu befragen; ihn auszuforſchen bis auf den Grund ſeiner Seele. Und ſie that dies mit ſo theil- nehmender Lebhaftigkeit, mit ſo beſcheidener Freund- ſchaft, mit ſo liebevoller Wuͤrde, daß jede Falte in unſeres Freundes Herzen ſich vor dieſer innigen Milde oͤffnete; daß er die geheimſten Regungen und Gedan- ken offenbarte. Wenn von ſeiner Mutter die Rede kam, — und nur dann — machte der Zuhoͤrerin Be- nehmen einen unangenehmen Eindruck auf den Erzaͤh- ler. Denn waͤhrend die kranke Frau Mitleid, Nach- ſicht, billige Verzeihung und chriſtliche Theilnahme allen Perſoͤnlichkeiten angedeihen ließ, die Antons Lebensweg durchkreuzt haben, gegen ſeine arme Mut- ter kannte ſie kein Erbarmen; fuͤr ihr unmuͤtterliches Betragen zeigte ſie weder Schonung, noch Rechtfer- tigung. Sie ſagte das Haͤrteſte von ihr; mit deſto ſchaͤrferer Zunge, je lebhafter Anton die Vertheidigung der Verſtorbenen uͤbernahm, ſo daß es ihm bisweilen vorkam, als vermehre ſie die Anklagen nur, um den Vertheidiger immer waͤrmer zu machen. Wenn er aber dann ſich ſelbſt tadelte und die Anklagen gegen
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Puppenſpiel den jungen Mann auf unwiderſtehliche
Weiſe veranlaßt hatte. Sie wurde nicht muͤde, ihn
um die kleinſten, ſcheinbar nichtigſten Ereigniſſe ſeines
Lebens zu befragen; ihn auszuforſchen bis auf den
Grund ſeiner Seele. Und ſie that dies mit ſo theil-
nehmender Lebhaftigkeit, mit ſo beſcheidener Freund-
ſchaft, mit ſo liebevoller Wuͤrde, daß jede Falte in
unſeres Freundes Herzen ſich vor dieſer innigen Milde
oͤffnete; daß er die geheimſten Regungen und Gedan-
ken offenbarte. Wenn von ſeiner Mutter die Rede
kam, — und nur dann — machte der Zuhoͤrerin Be-
nehmen einen unangenehmen Eindruck auf den Erzaͤh-
ler. Denn waͤhrend die kranke Frau Mitleid, Nach-
ſicht, billige Verzeihung und chriſtliche Theilnahme
allen Perſoͤnlichkeiten angedeihen ließ, die Antons
Lebensweg durchkreuzt haben, gegen ſeine arme Mut-
ter kannte ſie kein Erbarmen; fuͤr ihr unmuͤtterliches
Betragen zeigte ſie weder Schonung, noch Rechtfer-
tigung. Sie ſagte das Haͤrteſte von ihr; mit deſto
ſchaͤrferer Zunge, je lebhafter Anton die Vertheidigung
der Verſtorbenen uͤbernahm, ſo daß es ihm bisweilen
vorkam, als vermehre ſie die Anklagen nur, um den
Vertheidiger immer waͤrmer zu machen. Wenn er
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/192>, abgerufen am 24.11.2024.
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