Die "Belagerung von Bethulia" machte bei Weitem keinen so großen Eindruck auf Anton, als der verlorene Sohn gestern gethan, denn das elegisch- sentimentale Element fehlte gänzlich. Das Ding schien ironisch gemeint, von Anfang bis zu Ende. Doch floß es von prächtigen Späßen über und wenn Kasperl das Nachtlager des "Herrn Ochsofernes", nachdem Judith diesem das Haupt abgesäbelt, vom Blute triefend erblickt und die Ansicht hegt: "der Alte habe zu viel rothe Wein g'soff'n!" so mußte Anton, er mochte wollen oder nicht, in das jauchzende Geläch- ter der Vergnüglinge vom dritten Platze einstimmen. Judith bewegte durch ihre Töne wohl auch wieder sein Herz, doch wollte, seitdem er die vom Tode schon gezeichnete Trauergestalt der Sprecherin gesehen, deren heroischer Kraftaufwand ihm weniger zusagen. Mit einem Wort: er drang heute tiefer in die Män[gel] des Ganzen ein, vielleicht auch, weil man ihn auf- merksam auf dieselben gemacht, und dachte sich, wäh- rend er sah, hörte, beobachtete, mehrmals an den Platz hinter den Dekorationen, fest überzeugt, es werde ihm gelingen, viele dieser Mängel zu beseitigen, wenn er mitwirken dürfe. Aus dieser Zuversicht entwickelte sich allmählig der Wunsch, in Drehers Zunft aufgenom-
Die „Belagerung von Bethulia“ machte bei Weitem keinen ſo großen Eindruck auf Anton, als der verlorene Sohn geſtern gethan, denn das elegiſch- ſentimentale Element fehlte gaͤnzlich. Das Ding ſchien ironiſch gemeint, von Anfang bis zu Ende. Doch floß es von praͤchtigen Spaͤßen uͤber und wenn Kasperl das Nachtlager des „Herrn Ochſofernes“, nachdem Judith dieſem das Haupt abgeſaͤbelt, vom Blute triefend erblickt und die Anſicht hegt: „der Alte habe zu viel rothe Wein g’ſoff’n!“ ſo mußte Anton, er mochte wollen oder nicht, in das jauchzende Gelaͤch- ter der Vergnuͤglinge vom dritten Platze einſtimmen. Judith bewegte durch ihre Toͤne wohl auch wieder ſein Herz, doch wollte, ſeitdem er die vom Tode ſchon gezeichnete Trauergeſtalt der Sprecherin geſehen, deren heroiſcher Kraftaufwand ihm weniger zuſagen. Mit einem Wort: er drang heute tiefer in die Maͤn[gel] des Ganzen ein, vielleicht auch, weil man ihn auf- merkſam auf dieſelben gemacht, und dachte ſich, waͤh- rend er ſah, hoͤrte, beobachtete, mehrmals an den Platz hinter den Dekorationen, feſt uͤberzeugt, es werde ihm gelingen, viele dieſer Maͤngel zu beſeitigen, wenn er mitwirken duͤrfe. Aus dieſer Zuverſicht entwickelte ſich allmaͤhlig der Wunſch, in Drehers Zunft aufgenom-
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Die „Belagerung von Bethulia“ machte bei
Weitem keinen ſo großen Eindruck auf Anton, als
der verlorene Sohn geſtern gethan, denn das elegiſch-
ſentimentale Element fehlte gaͤnzlich. Das Ding
ſchien ironiſch gemeint, von Anfang bis zu Ende.
Doch floß es von praͤchtigen Spaͤßen uͤber und wenn
Kasperl das Nachtlager des „Herrn Ochſofernes“,
nachdem Judith dieſem das Haupt abgeſaͤbelt, vom
Blute triefend erblickt und die Anſicht hegt: „der Alte
habe zu viel rothe Wein g’ſoff’n!“ ſo mußte Anton,
er mochte wollen oder nicht, in das jauchzende Gelaͤch-
ter der Vergnuͤglinge vom dritten Platze einſtimmen.
Judith bewegte durch ihre Toͤne wohl auch wieder
ſein Herz, doch wollte, ſeitdem er die vom Tode ſchon
gezeichnete Trauergeſtalt der Sprecherin geſehen,
deren heroiſcher Kraftaufwand ihm weniger zuſagen.
Mit einem Wort: er drang heute tiefer in die Maͤngel
des Ganzen ein, vielleicht auch, weil man ihn auf-
merkſam auf dieſelben gemacht, und dachte ſich, waͤh-
rend er ſah, hoͤrte, beobachtete, mehrmals an den Platz
hinter den Dekorationen, feſt uͤberzeugt, es werde ihm
gelingen, viele dieſer Maͤngel zu beſeitigen, wenn er
mitwirken duͤrfe. Aus dieſer Zuverſicht entwickelte ſich
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/187>, abgerufen am 24.11.2024.
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