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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

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mein Probestück ablegen: vertrauen Sie mir einige
Röllchen an. Wo ist das Buch, aus welchem Sie
spielen? Jch will's eiligst überlesen und dann mögen
Sie entscheiden, ob Sie mich gebrauchen können.

"Ein Buch?" antwortete Herr Dreher; "ein
Buch, mein Lieber, giebt es nicht; weder die Bela-
gerung von Bethulia, noch irgend ein ander Stuck
ist aufgeschrieben. Wir Puppenspieler sind eine alte
Zunft, ein Ueberbleibsel aus "die finstre Zeiten!"
Bei uns erbt sich's von Vater auf Sohn, Einer lernt
vom Andern auswendig und hernach trägt man die
ganze Geschichte im Kopf mit sich herum. Jeder von
uns hat müssen einen Schwur ablegen, daß er nie-
mals eine Zeile niederschreiben will, damit's nicht in
unrechte Hände kommt, die uns das Brot wegneh-
men. Jetzund leben unserer vielleicht noch vier, [oder]
drei, von der Nürnberger Schule. Wenn wir aus-
gestorben sind, sterben unsere Komödien mit uns aus.
Denn das Gelübde müssen wir halten. Bei mir fin-
det sich nach meinem Tode auch nicht eine Silbe vor,
nicht gedruckt, nicht geschrieben. Jn Berlin freilich
haben sie einen Kollegen von mir garstig betrogen.
Da sind die Gelehrten hinterd'rein gewesen und haben
sich den Doktor Faust so oft vorspielen lassen, daß sie

mein Probeſtuͤck ablegen: vertrauen Sie mir einige
Roͤllchen an. Wo iſt das Buch, aus welchem Sie
ſpielen? Jch will’s eiligſt uͤberleſen und dann moͤgen
Sie entſcheiden, ob Sie mich gebrauchen koͤnnen.

„Ein Buch?“ antwortete Herr Dreher; „ein
Buch, mein Lieber, giebt es nicht; weder die Bela-
gerung von Bethulia, noch irgend ein ander Stuck
iſt aufgeſchrieben. Wir Puppenſpieler ſind eine alte
Zunft, ein Ueberbleibſel aus „die finſtre Zeiten!“
Bei uns erbt ſich’s von Vater auf Sohn, Einer lernt
vom Andern auswendig und hernach traͤgt man die
ganze Geſchichte im Kopf mit ſich herum. Jeder von
uns hat muͤſſen einen Schwur ablegen, daß er nie-
mals eine Zeile niederſchreiben will, damit’s nicht in
unrechte Haͤnde kommt, die uns das Brot wegneh-
men. Jetzund leben unſerer vielleicht noch vier, [oder]
drei, von der Nuͤrnberger Schule. Wenn wir aus-
geſtorben ſind, ſterben unſere Komoͤdien mit uns aus.
Denn das Geluͤbde muͤſſen wir halten. Bei mir fin-
det ſich nach meinem Tode auch nicht eine Silbe vor,
nicht gedruckt, nicht geſchrieben. Jn Berlin freilich
haben ſie einen Kollegen von mir garſtig betrogen.
Da ſind die Gelehrten hinterd’rein geweſen und haben
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[181/0185] mein Probeſtuͤck ablegen: vertrauen Sie mir einige Roͤllchen an. Wo iſt das Buch, aus welchem Sie ſpielen? Jch will’s eiligſt uͤberleſen und dann moͤgen Sie entſcheiden, ob Sie mich gebrauchen koͤnnen. „Ein Buch?“ antwortete Herr Dreher; „ein Buch, mein Lieber, giebt es nicht; weder die Bela- gerung von Bethulia, noch irgend ein ander Stuck iſt aufgeſchrieben. Wir Puppenſpieler ſind eine alte Zunft, ein Ueberbleibſel aus „die finſtre Zeiten!“ Bei uns erbt ſich’s von Vater auf Sohn, Einer lernt vom Andern auswendig und hernach traͤgt man die ganze Geſchichte im Kopf mit ſich herum. Jeder von uns hat muͤſſen einen Schwur ablegen, daß er nie- mals eine Zeile niederſchreiben will, damit’s nicht in unrechte Haͤnde kommt, die uns das Brot wegneh- men. Jetzund leben unſerer vielleicht noch vier, oder drei, von der Nuͤrnberger Schule. Wenn wir aus- geſtorben ſind, ſterben unſere Komoͤdien mit uns aus. Denn das Geluͤbde muͤſſen wir halten. Bei mir fin- det ſich nach meinem Tode auch nicht eine Silbe vor, nicht gedruckt, nicht geſchrieben. Jn Berlin freilich haben ſie einen Kollegen von mir garſtig betrogen. Da ſind die Gelehrten hinterd’rein geweſen und haben ſich den Doktor Fauſt ſo oft vorſpielen laſſen, daß ſie

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/185>, abgerufen am 27.11.2024.