legen wollen, mit heiler Haut und unausgekratzten Augen entkommen zu sein und begab sich nach dem Orte seiner neuen Bestimmung, wo er im Oktober anlangte.
Hier wehete ihm ein anderer Geist entgegen. Von Frivolität, wie er sie kürzlich kennen gelernt, schien hier keine Spur zu entdecken; vielmehr waltete eine fast herrnhutische Neigung zu frömmelnder Strenge vor, in welcher aber durchaus keine Heuchelei zu be- merken war. Der ernste Ton des Hauses reichte bis auf die Dienstboten, die sämmtlich ein wenig erstaunt d'rein blickten, einen Jünger sündlicher Tanzlust auf- nehmen zu müssen. Das Räthsel lösete sich doch bald. Die mittlere Tochter des Gutsherren (Anton fand sich durch die Dreizahl der Töchter an Liebenau erinnert, wiewohl sonst nicht die geringste Aehnlich- keit der Verhältnisse auffiel) sollte Braut werden; der Bräutigam wurde, wie die Dienstboten sich ausdrückten: auf Brautschau erwartet. Und da diese Verbindung, des unseligen Geldes wegen, erwünscht, -- ja nothwendig erschien, so hatten sich die frommen Eltern entschlossen, von ihren religiösen Ansichten einmal abzugehen und den Töchtern in aller Eil' einen Anhauch von weltlichem Firniß zukommen zu
legen wollen, mit heiler Haut und unausgekratzten Augen entkommen zu ſein und begab ſich nach dem Orte ſeiner neuen Beſtimmung, wo er im Oktober anlangte.
Hier wehete ihm ein anderer Geiſt entgegen. Von Frivolitaͤt, wie er ſie kuͤrzlich kennen gelernt, ſchien hier keine Spur zu entdecken; vielmehr waltete eine faſt herrnhutiſche Neigung zu froͤmmelnder Strenge vor, in welcher aber durchaus keine Heuchelei zu be- merken war. Der ernſte Ton des Hauſes reichte bis auf die Dienſtboten, die ſaͤmmtlich ein wenig erſtaunt d’rein blickten, einen Juͤnger ſuͤndlicher Tanzluſt auf- nehmen zu muͤſſen. Das Raͤthſel loͤſete ſich doch bald. Die mittlere Tochter des Gutsherren (Anton fand ſich durch die Dreizahl der Toͤchter an Liebenau erinnert, wiewohl ſonſt nicht die geringſte Aehnlich- keit der Verhaͤltniſſe auffiel) ſollte Braut werden; der Braͤutigam wurde, wie die Dienſtboten ſich ausdruͤckten: auf Brautſchau erwartet. Und da dieſe Verbindung, des unſeligen Geldes wegen, erwuͤnſcht, — ja nothwendig erſchien, ſo hatten ſich die frommen Eltern entſchloſſen, von ihren religioͤſen Anſichten einmal abzugehen und den Toͤchtern in aller Eil’ einen Anhauch von weltlichem Firniß zukommen zu
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legen wollen, mit heiler Haut und unausgekratzten
Augen entkommen zu ſein und begab ſich nach dem
Orte ſeiner neuen Beſtimmung, wo er im Oktober
anlangte.
Hier wehete ihm ein anderer Geiſt entgegen. Von
Frivolitaͤt, wie er ſie kuͤrzlich kennen gelernt, ſchien
hier keine Spur zu entdecken; vielmehr waltete eine
faſt herrnhutiſche Neigung zu froͤmmelnder Strenge
vor, in welcher aber durchaus keine Heuchelei zu be-
merken war. Der ernſte Ton des Hauſes reichte bis
auf die Dienſtboten, die ſaͤmmtlich ein wenig erſtaunt
d’rein blickten, einen Juͤnger ſuͤndlicher Tanzluſt auf-
nehmen zu muͤſſen. Das Raͤthſel loͤſete ſich doch
bald. Die mittlere Tochter des Gutsherren (Anton
fand ſich durch die Dreizahl der Toͤchter an Liebenau
erinnert, wiewohl ſonſt nicht die geringſte Aehnlich-
keit der Verhaͤltniſſe auffiel) ſollte Braut werden;
der Braͤutigam wurde, wie die Dienſtboten ſich
ausdruͤckten: auf Brautſchau erwartet. Und da dieſe
Verbindung, des unſeligen Geldes wegen, erwuͤnſcht,
— ja nothwendig erſchien, ſo hatten ſich die frommen
Eltern entſchloſſen, von ihren religioͤſen Anſichten
einmal abzugehen und den Toͤchtern in aller Eil’
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/166>, abgerufen am 05.07.2024.
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