Denn seine eigenen Erzählungen schwankten zwischen beiden Möglichkeiten hin und her. Eben so unklar blieb die junge hüpfende Welt über das Lebensalter ihres Vortänzers, der vor sechszig Jahren, -- und diese mag er wirklich gezählt haben, -- wenn er bei guter Laune war, bis auf achtzig, neunzig, ja hundert stieg. Da gab er dann auch wohl nicht undeutlich zu verstehen, es sei nicht wahr, daß jener "erste Grena- dier Frankreichs", der tapfere Latour d'Auvergne, im Kampfe geblieben; es gäbe noch Leute, die das Gegentheil beweisen könnten, wenn sie -- und er nicht Gründe hätten, darüber zu schweigen. Er war sonst ein lustiger gutmüthiger Mensch, der seinen Me- nuet mit feiner Haltung strich, wobei er zierlich genug mit einer kleinen Geige aufspielte. Für große Städte war er längst aus der Mode; deshalb zog er seit Jah- ren im Lande umher, den Winter in Mittelstädten, den Sommer auf Dörfern zubringend, woselbst er die Töchter schwachbesoldeter Beamten in der verführeri- schen Kunst unterwies, wohlhabenden Bürgersöhnen durch ihren Tanz in die Augen zu stechen. Als Anton ihn kennen lernte, befand er sich in peinlicher Ver- legenheit wegen seines Orchesters, dem er bisher selbst und allein vorgestanden; was aber jetzt unmöglich
Denn ſeine eigenen Erzaͤhlungen ſchwankten zwiſchen beiden Moͤglichkeiten hin und her. Eben ſo unklar blieb die junge huͤpfende Welt uͤber das Lebensalter ihres Vortaͤnzers, der vor ſechszig Jahren, — und dieſe mag er wirklich gezaͤhlt haben, — wenn er bei guter Laune war, bis auf achtzig, neunzig, ja hundert ſtieg. Da gab er dann auch wohl nicht undeutlich zu verſtehen, es ſei nicht wahr, daß jener „erſte Grena- dier Frankreichs“, der tapfere Latour d’Auvergne, im Kampfe geblieben; es gaͤbe noch Leute, die das Gegentheil beweiſen koͤnnten, wenn ſie — und er nicht Gruͤnde haͤtten, daruͤber zu ſchweigen. Er war ſonſt ein luſtiger gutmuͤthiger Menſch, der ſeinen Me- nuet mit feiner Haltung ſtrich, wobei er zierlich genug mit einer kleinen Geige aufſpielte. Fuͤr große Staͤdte war er laͤngſt aus der Mode; deshalb zog er ſeit Jah- ren im Lande umher, den Winter in Mittelſtaͤdten, den Sommer auf Doͤrfern zubringend, woſelbſt er die Toͤchter ſchwachbeſoldeter Beamten in der verfuͤhreri- ſchen Kunſt unterwies, wohlhabenden Buͤrgerſoͤhnen durch ihren Tanz in die Augen zu ſtechen. Als Anton ihn kennen lernte, befand er ſich in peinlicher Ver- legenheit wegen ſeines Orcheſters, dem er bisher ſelbſt und allein vorgeſtanden; was aber jetzt unmoͤglich
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Denn ſeine eigenen Erzaͤhlungen ſchwankten zwiſchen
beiden Moͤglichkeiten hin und her. Eben ſo unklar
blieb die junge huͤpfende Welt uͤber das Lebensalter
ihres Vortaͤnzers, der vor ſechszig Jahren, — und
dieſe mag er wirklich gezaͤhlt haben, — wenn er bei
guter Laune war, bis auf achtzig, neunzig, ja hundert
ſtieg. Da gab er dann auch wohl nicht undeutlich zu
verſtehen, es ſei nicht wahr, daß jener „erſte Grena-
dier Frankreichs“, der tapfere Latour d’Auvergne,
im Kampfe geblieben; es gaͤbe noch Leute, die das
Gegentheil beweiſen koͤnnten, wenn ſie — und er
nicht Gruͤnde haͤtten, daruͤber zu ſchweigen. Er war
ſonſt ein luſtiger gutmuͤthiger Menſch, der ſeinen Me-
nuet mit feiner Haltung ſtrich, wobei er zierlich genug
mit einer kleinen Geige aufſpielte. Fuͤr große Staͤdte
war er laͤngſt aus der Mode; deshalb zog er ſeit Jah-
ren im Lande umher, den Winter in Mittelſtaͤdten,
den Sommer auf Doͤrfern zubringend, woſelbſt er die
Toͤchter ſchwachbeſoldeter Beamten in der verfuͤhreri-
ſchen Kunſt unterwies, wohlhabenden Buͤrgerſoͤhnen
durch ihren Tanz in die Augen zu ſtechen. Als Anton
ihn kennen lernte, befand er ſich in peinlicher Ver-
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/150>, abgerufen am 24.11.2024.
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