es unserem Anton mit dem Juden Schewa. Er war ergriffen, gerührt, erschüttert, entzückt; er weinte see- lige Thränen des Mitgefühls; -- aber er dachte nicht daran, dieses Opfer dem Künstler zu spenden. Er bracht' es dem Menschen, an den er glaubte, der für ihn der wirkliche Jude Schewa wurde, den er aus Herzensgrunde flehentlich um Verzeihung bat, daß er mit kindisch-feindlichem Vorurtheile in sein Haus getreten sei.
Und wie in Liebenau nach Darstellung der Geno- veva, obgleich diesmal mit ganz anderen Empfindun- gen, blieb er unter dem Gewicht des Miterlebten und Durchlebten sinnend, träumend stehn, wo seine Nach- barn längst, leere Worte wechselnd, verschiedenen Zer- streuungen zueilten. Die Hand seines Arztes, die sich sanft ihm auf die Schulter legte, erweckte ihn. Jch brauche weiter nicht zu fragen, sprach dieser; die Thränen auf ihren Wangen sagen mir deutlich genug, daß meine Prophezeihung wahr geworden an Jhnen. Desto besser: eine so wohlthuende Rührung kann nicht schädlich sein. Das Stück war kurz, es ist noch eine volle Stunde Zeit, bis die Bürgerglocke des Re- konvaleszenten schlägt. Für diese Stunde mögen Sie mein Gast sein. Jch lade Sie ein, mir in eine
es unſerem Anton mit dem Juden Schewa. Er war ergriffen, geruͤhrt, erſchuͤttert, entzuͤckt; er weinte ſee- lige Thraͤnen des Mitgefuͤhls; — aber er dachte nicht daran, dieſes Opfer dem Kuͤnſtler zu ſpenden. Er bracht’ es dem Menſchen, an den er glaubte, der fuͤr ihn der wirkliche Jude Schewa wurde, den er aus Herzensgrunde flehentlich um Verzeihung bat, daß er mit kindiſch-feindlichem Vorurtheile in ſein Haus getreten ſei.
Und wie in Liebenau nach Darſtellung der Geno- veva, obgleich diesmal mit ganz anderen Empfindun- gen, blieb er unter dem Gewicht des Miterlebten und Durchlebten ſinnend, traͤumend ſtehn, wo ſeine Nach- barn laͤngſt, leere Worte wechſelnd, verſchiedenen Zer- ſtreuungen zueilten. Die Hand ſeines Arztes, die ſich ſanft ihm auf die Schulter legte, erweckte ihn. Jch brauche weiter nicht zu fragen, ſprach dieſer; die Thraͤnen auf ihren Wangen ſagen mir deutlich genug, daß meine Prophezeihung wahr geworden an Jhnen. Deſto beſſer: eine ſo wohlthuende Ruͤhrung kann nicht ſchaͤdlich ſein. Das Stuͤck war kurz, es iſt noch eine volle Stunde Zeit, bis die Buͤrgerglocke des Re- konvaleszenten ſchlaͤgt. Fuͤr dieſe Stunde moͤgen Sie mein Gaſt ſein. Jch lade Sie ein, mir in eine
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es unſerem Anton mit dem Juden Schewa. Er war
ergriffen, geruͤhrt, erſchuͤttert, entzuͤckt; er weinte ſee-
lige Thraͤnen des Mitgefuͤhls; — aber er dachte nicht
daran, dieſes Opfer dem Kuͤnſtler zu ſpenden. Er
bracht’ es dem Menſchen, an den er glaubte, der fuͤr
ihn der wirkliche Jude Schewa wurde, den er aus
Herzensgrunde flehentlich um Verzeihung bat, daß er
mit kindiſch-feindlichem Vorurtheile in ſein Haus
getreten ſei.
Und wie in Liebenau nach Darſtellung der Geno-
veva, obgleich diesmal mit ganz anderen Empfindun-
gen, blieb er unter dem Gewicht des Miterlebten und
Durchlebten ſinnend, traͤumend ſtehn, wo ſeine Nach-
barn laͤngſt, leere Worte wechſelnd, verſchiedenen Zer-
ſtreuungen zueilten. Die Hand ſeines Arztes, die
ſich ſanft ihm auf die Schulter legte, erweckte ihn.
Jch brauche weiter nicht zu fragen, ſprach dieſer; die
Thraͤnen auf ihren Wangen ſagen mir deutlich genug,
daß meine Prophezeihung wahr geworden an Jhnen.
Deſto beſſer: eine ſo wohlthuende Ruͤhrung kann
nicht ſchaͤdlich ſein. Das Stuͤck war kurz, es iſt noch
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/73>, abgerufen am 26.11.2024.
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