Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

unser Held sah und hörte. Denjenigen jedoch, welche
solches Eindruckes nicht mehr theilhaftig geworden,
müßte meine Schilderung nutzlos bleiben. Und nicht
blos die meinige, weil sie schwach, matt, armselig
ausfallen dürfte; nein, jede, auch die beredetste.
Denn was ein schöpferischer Genius auf der Bühne
in's Leben rief, stirbt mit ihm; -- ja leider gar oft
noch vor ihm, wenn er seinen Glanzpunkt überlebt.
Das Beste, was man davon sagen und schreiben
könnte, verhält sich zu dem, was beschrieben werden
soll, wie ein Buch über die Gartenkunst zum Früh-
ling. Doch gleich dem Frühling, der mit all' seiner
Herrlichkeit den schlichten Landmann, als gewöhnliche
alljährlich wiederkehrende Erscheinung, eben nur in
ruhiges Behagen versetzt, während er die Seele des
wissenschaftlich-strebenden Naturfreundes mit himm-
lischer Wonne durchdringt, -- gewährt wohl auch
dramatische Vollkommenheit, so lange dieselbe in den
Formen und Grenzen unseres alltäglichen Daseins
nachahmend wirkt, nur dem Kunstkenner höchste Be-
friedigung, der in ihr den Triumph künstlerisch-ver-
edelter Wahrheit und Naturtreue sieht, wo der Unein-
geweihte, gerade weil er die reine Natur zu betrachten
wähnt, gar keine Kunst ahnet. Nicht anders erging

unſer Held ſah und hoͤrte. Denjenigen jedoch, welche
ſolches Eindruckes nicht mehr theilhaftig geworden,
muͤßte meine Schilderung nutzlos bleiben. Und nicht
blos die meinige, weil ſie ſchwach, matt, armſelig
ausfallen duͤrfte; nein, jede, auch die beredetſte.
Denn was ein ſchoͤpferiſcher Genius auf der Buͤhne
in’s Leben rief, ſtirbt mit ihm; — ja leider gar oft
noch vor ihm, wenn er ſeinen Glanzpunkt uͤberlebt.
Das Beſte, was man davon ſagen und ſchreiben
koͤnnte, verhaͤlt ſich zu dem, was beſchrieben werden
ſoll, wie ein Buch uͤber die Gartenkunſt zum Fruͤh-
ling. Doch gleich dem Fruͤhling, der mit all’ ſeiner
Herrlichkeit den ſchlichten Landmann, als gewoͤhnliche
alljaͤhrlich wiederkehrende Erſcheinung, eben nur in
ruhiges Behagen verſetzt, waͤhrend er die Seele des
wiſſenſchaftlich-ſtrebenden Naturfreundes mit himm-
liſcher Wonne durchdringt, — gewaͤhrt wohl auch
dramatiſche Vollkommenheit, ſo lange dieſelbe in den
Formen und Grenzen unſeres alltaͤglichen Daſeins
nachahmend wirkt, nur dem Kunſtkenner hoͤchſte Be-
friedigung, der in ihr den Triumph kuͤnſtleriſch-ver-
edelter Wahrheit und Naturtreue ſieht, wo der Unein-
geweihte, gerade weil er die reine Natur zu betrachten
waͤhnt, gar keine Kunſt ahnet. Nicht anders erging

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0072" n="70"/>
un&#x017F;er Held &#x017F;ah und ho&#x0364;rte. Denjenigen jedoch, welche<lb/>
&#x017F;olches Eindruckes nicht mehr theilhaftig geworden,<lb/>
mu&#x0364;ßte meine Schilderung nutzlos bleiben. Und nicht<lb/>
blos die meinige, weil &#x017F;ie &#x017F;chwach, matt, arm&#x017F;elig<lb/>
ausfallen du&#x0364;rfte; nein, jede, auch die beredet&#x017F;te.<lb/>
Denn was ein &#x017F;cho&#x0364;pferi&#x017F;cher Genius auf der Bu&#x0364;hne<lb/>
in&#x2019;s Leben rief, &#x017F;tirbt mit ihm; &#x2014; ja leider gar oft<lb/>
noch vor ihm, wenn er &#x017F;einen Glanzpunkt u&#x0364;berlebt.<lb/>
Das Be&#x017F;te, was man davon &#x017F;agen und &#x017F;chreiben<lb/>
ko&#x0364;nnte, verha&#x0364;lt &#x017F;ich zu dem, was be&#x017F;chrieben werden<lb/>
&#x017F;oll, wie ein Buch u&#x0364;ber die Gartenkun&#x017F;t zum Fru&#x0364;h-<lb/>
ling. Doch gleich dem Fru&#x0364;hling, der mit all&#x2019; &#x017F;einer<lb/>
Herrlichkeit den &#x017F;chlichten Landmann, als gewo&#x0364;hnliche<lb/>
allja&#x0364;hrlich wiederkehrende Er&#x017F;cheinung, eben nur in<lb/>
ruhiges Behagen ver&#x017F;etzt, wa&#x0364;hrend er die Seele des<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich-&#x017F;trebenden Naturfreundes mit himm-<lb/>
li&#x017F;cher Wonne durchdringt, &#x2014; gewa&#x0364;hrt wohl auch<lb/>
dramati&#x017F;che Vollkommenheit, &#x017F;o lange die&#x017F;elbe in den<lb/>
Formen und Grenzen un&#x017F;eres allta&#x0364;glichen Da&#x017F;eins<lb/>
nachahmend wirkt, nur dem Kun&#x017F;tkenner ho&#x0364;ch&#x017F;te Be-<lb/>
friedigung, der in ihr den Triumph ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;ch-ver-<lb/>
edelter Wahrheit und Naturtreue &#x017F;ieht, wo der Unein-<lb/>
geweihte, gerade weil er die reine Natur zu betrachten<lb/>
wa&#x0364;hnt, gar keine Kun&#x017F;t ahnet. Nicht anders erging<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0072] unſer Held ſah und hoͤrte. Denjenigen jedoch, welche ſolches Eindruckes nicht mehr theilhaftig geworden, muͤßte meine Schilderung nutzlos bleiben. Und nicht blos die meinige, weil ſie ſchwach, matt, armſelig ausfallen duͤrfte; nein, jede, auch die beredetſte. Denn was ein ſchoͤpferiſcher Genius auf der Buͤhne in’s Leben rief, ſtirbt mit ihm; — ja leider gar oft noch vor ihm, wenn er ſeinen Glanzpunkt uͤberlebt. Das Beſte, was man davon ſagen und ſchreiben koͤnnte, verhaͤlt ſich zu dem, was beſchrieben werden ſoll, wie ein Buch uͤber die Gartenkunſt zum Fruͤh- ling. Doch gleich dem Fruͤhling, der mit all’ ſeiner Herrlichkeit den ſchlichten Landmann, als gewoͤhnliche alljaͤhrlich wiederkehrende Erſcheinung, eben nur in ruhiges Behagen verſetzt, waͤhrend er die Seele des wiſſenſchaftlich-ſtrebenden Naturfreundes mit himm- liſcher Wonne durchdringt, — gewaͤhrt wohl auch dramatiſche Vollkommenheit, ſo lange dieſelbe in den Formen und Grenzen unſeres alltaͤglichen Daſeins nachahmend wirkt, nur dem Kunſtkenner hoͤchſte Be- friedigung, der in ihr den Triumph kuͤnſtleriſch-ver- edelter Wahrheit und Naturtreue ſieht, wo der Unein- geweihte, gerade weil er die reine Natur zu betrachten waͤhnt, gar keine Kunſt ahnet. Nicht anders erging

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/72
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/72>, abgerufen am 26.11.2024.