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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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der ihm auf dem Wege nach dem Schauspielhause
begegnete und fragte diesen um Rath, ob er nicht
lieber einen andern Abend zu seinem ersten Theater-
besuche wählen solle?

Der Arzt schlug ein helles Gelächter auf, als er
Antons Ansichten von der Stellung gegenwärtiger
Judenschaft zu gegenwärtiger Welt vernahm. "Was
denken Sie sich denn überhaupt unter einem Juden,
Sie närrischer Mensch? Meinen Sie, daß er sich von
den Christen unterscheiden soll, wie ihr in euren Stal-
lungen Maulesel von Pferden unterscheidet? Ein
Jude, wenn er erzogen, angezogen, -- oder ungezogen
ist, wie Euresgleichen, dürfte manchmal schwer für
einen Juden zu erkennen sein. Ja, ich wette, es giebt
Juden hier in B., mit denen Sie lange umgehen
können, ohne zu ahnen, daß es welche sind."

Wie wäre denn das möglich, fragte Anton, ein
wenig eingeschüchtert. Muß ein Jude nicht aussehen,
wie die Kerls, die in P. auf den Plätzen umherliefen,
mit schwarzem Kittel und langem Bart?

"Nein, zum Teufel, das muß er nicht. Da, seh'n
Sie her: hab' ich einen Judenbart? Jst das hier ein
Kittel, was ich auf meinem Leibe trage, oder ein
Frack, ein höchst christlicher Frack? Wie? Sag' ich

der ihm auf dem Wege nach dem Schauſpielhauſe
begegnete und fragte dieſen um Rath, ob er nicht
lieber einen andern Abend zu ſeinem erſten Theater-
beſuche waͤhlen ſolle?

Der Arzt ſchlug ein helles Gelaͤchter auf, als er
Antons Anſichten von der Stellung gegenwaͤrtiger
Judenſchaft zu gegenwaͤrtiger Welt vernahm. „Was
denken Sie ſich denn uͤberhaupt unter einem Juden,
Sie naͤrriſcher Menſch? Meinen Sie, daß er ſich von
den Chriſten unterſcheiden ſoll, wie ihr in euren Stal-
lungen Mauleſel von Pferden unterſcheidet? Ein
Jude, wenn er erzogen, angezogen, — oder ungezogen
iſt, wie Euresgleichen, duͤrfte manchmal ſchwer fuͤr
einen Juden zu erkennen ſein. Ja, ich wette, es giebt
Juden hier in B., mit denen Sie lange umgehen
koͤnnen, ohne zu ahnen, daß es welche ſind.“

Wie waͤre denn das moͤglich, fragte Anton, ein
wenig eingeſchuͤchtert. Muß ein Jude nicht ausſehen,
wie die Kerls, die in P. auf den Plaͤtzen umherliefen,
mit ſchwarzem Kittel und langem Bart?

„Nein, zum Teufel, das muß er nicht. Da, ſeh’n
Sie her: hab’ ich einen Judenbart? Jſt das hier ein
Kittel, was ich auf meinem Leibe trage, oder ein
Frack, ein hoͤchſt chriſtlicher Frack? Wie? Sag’ ich

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[68/0070] der ihm auf dem Wege nach dem Schauſpielhauſe begegnete und fragte dieſen um Rath, ob er nicht lieber einen andern Abend zu ſeinem erſten Theater- beſuche waͤhlen ſolle? Der Arzt ſchlug ein helles Gelaͤchter auf, als er Antons Anſichten von der Stellung gegenwaͤrtiger Judenſchaft zu gegenwaͤrtiger Welt vernahm. „Was denken Sie ſich denn uͤberhaupt unter einem Juden, Sie naͤrriſcher Menſch? Meinen Sie, daß er ſich von den Chriſten unterſcheiden ſoll, wie ihr in euren Stal- lungen Mauleſel von Pferden unterſcheidet? Ein Jude, wenn er erzogen, angezogen, — oder ungezogen iſt, wie Euresgleichen, duͤrfte manchmal ſchwer fuͤr einen Juden zu erkennen ſein. Ja, ich wette, es giebt Juden hier in B., mit denen Sie lange umgehen koͤnnen, ohne zu ahnen, daß es welche ſind.“ Wie waͤre denn das moͤglich, fragte Anton, ein wenig eingeſchuͤchtert. Muß ein Jude nicht ausſehen, wie die Kerls, die in P. auf den Plaͤtzen umherliefen, mit ſchwarzem Kittel und langem Bart? „Nein, zum Teufel, das muß er nicht. Da, ſeh’n Sie her: hab’ ich einen Judenbart? Jſt das hier ein Kittel, was ich auf meinem Leibe trage, oder ein Frack, ein hoͤchſt chriſtlicher Frack? Wie? Sag’ ich

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/70>, abgerufen am 26.11.2024.