empfand, war Freude. Er umarmte die schlanke Pap- pel mit beiden Händen, drückte sie gleichsam an sein Herz, als ob er ihr Dank sagen wollte, daß sie ihm Klarheit gegeben. "Jch bin frei!" So sprach sich seine Empfindung aus: "Frei, -- ohne Undankbar- keit; ohne Treulosigkeit von meiner Seite! Frei, weil sie mich betrügt! Frei, von einem schmählichen Zwange, dem ich mich als unerfahrener Knabe ver- kaufte! Jn welchem ich untergegangen wäre, hätte mich dieser geseegnete Luftspringer nicht erlöset! Lebe wohl, Laura!"
Dann ließ er sich langsam herabgleiten.
Schon auf dem Heimwege entwarf er im Kopfe den Brief, den er, so wie nur der Tag da wäre, an Madame Amelot senden wollte. Jn diesen Brief schichtete sein beleidigter Stolz Alles zusammen, was ihn seither bedrängt hatte. Kaum daß er sich Zeit genommen wenige Stunden zu schlafen, saß er am Tische, schreibend und die schönsten französischen Floskeln für seine schaarenweise herbeiströmenden, sehr deutschen Gedanken zu suchen.
So lange man in ähnlichen Lagen das Wort füh- ren und kräftige Ausdrücke für gerechten Groll anwen- den darf, spürt man den verletzenden Schmerz, ohne
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empfand, war Freude. Er umarmte die ſchlanke Pap- pel mit beiden Haͤnden, druͤckte ſie gleichſam an ſein Herz, als ob er ihr Dank ſagen wollte, daß ſie ihm Klarheit gegeben. „Jch bin frei!“ So ſprach ſich ſeine Empfindung aus: „Frei, — ohne Undankbar- keit; ohne Treuloſigkeit von meiner Seite! Frei, weil ſie mich betruͤgt! Frei, von einem ſchmaͤhlichen Zwange, dem ich mich als unerfahrener Knabe ver- kaufte! Jn welchem ich untergegangen waͤre, haͤtte mich dieſer geſeegnete Luftſpringer nicht erloͤſet! Lebe wohl, Laura!“
Dann ließ er ſich langſam herabgleiten.
Schon auf dem Heimwege entwarf er im Kopfe den Brief, den er, ſo wie nur der Tag da waͤre, an Madame Amelot ſenden wollte. Jn dieſen Brief ſchichtete ſein beleidigter Stolz Alles zuſammen, was ihn ſeither bedraͤngt hatte. Kaum daß er ſich Zeit genommen wenige Stunden zu ſchlafen, ſaß er am Tiſche, ſchreibend und die ſchoͤnſten franzoͤſiſchen Floskeln fuͤr ſeine ſchaarenweiſe herbeiſtroͤmenden, ſehr deutſchen Gedanken zu ſuchen.
So lange man in aͤhnlichen Lagen das Wort fuͤh- ren und kraͤftige Ausdruͤcke fuͤr gerechten Groll anwen- den darf, ſpuͤrt man den verletzenden Schmerz, ohne
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empfand, war Freude. Er umarmte die ſchlanke Pap-
pel mit beiden Haͤnden, druͤckte ſie gleichſam an ſein
Herz, als ob er ihr Dank ſagen wollte, daß ſie ihm
Klarheit gegeben. „Jch bin frei!“ So ſprach ſich
ſeine Empfindung aus: „Frei, — ohne Undankbar-
keit; ohne Treuloſigkeit von meiner Seite! Frei,
weil ſie mich betruͤgt! Frei, von einem ſchmaͤhlichen
Zwange, dem ich mich als unerfahrener Knabe ver-
kaufte! Jn welchem ich untergegangen waͤre, haͤtte
mich dieſer geſeegnete Luftſpringer nicht erloͤſet! Lebe
wohl, Laura!“
Dann ließ er ſich langſam herabgleiten.
Schon auf dem Heimwege entwarf er im Kopfe
den Brief, den er, ſo wie nur der Tag da waͤre, an
Madame Amelot ſenden wollte. Jn dieſen Brief
ſchichtete ſein beleidigter Stolz Alles zuſammen, was
ihn ſeither bedraͤngt hatte. Kaum daß er ſich Zeit
genommen wenige Stunden zu ſchlafen, ſaß er am
Tiſche, ſchreibend und die ſchoͤnſten franzoͤſiſchen
Floskeln fuͤr ſeine ſchaarenweiſe herbeiſtroͤmenden,
ſehr deutſchen Gedanken zu ſuchen.
So lange man in aͤhnlichen Lagen das Wort fuͤh-
ren und kraͤftige Ausdruͤcke fuͤr gerechten Groll anwen-
den darf, ſpuͤrt man den verletzenden Schmerz, ohne
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/53>, abgerufen am 28.11.2024.
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