dem Zorn und Rache den Kopf durchwirbelten, ließ sich fortziehen, ohne zu wissen, wohin?
Theodor folgte, vom spöttischen Gezisch der Um- stehenden begleitet, die sich in den Korridor's zusam- mengedrängt. Nur Bärbels schier unweiblicher Kör- perkraft war es möglich, die Rasenden im engen Wagen auseinander zu halten. Theodors Nägel such- ten fortwährend Antons Gesicht und Kehle. Dieser wies ihn zurück mit den stets wiederholten Worten: "Geduld, mein Herr, scharfe Klingen kratzen tiefer!"
Jm Hotel angelangt, bei verschlossenen Thüren, begannen diese drei Menschen einen jener Auftritte, wie nur da möglich sind, wo ungezügelte Leidenschaf- ten, zu bestialischer Wildheit ausbrechend, den letzten Zaum zerreißen, den herkömmliche Sitte ihnen bisher noch auferlegte.
Jetzt galt auch für Bärbel kein Bedenken, kein Zurückhalten mehr. Die Lüge, welche sie seit länger als drei Jahren durchgeführt, konnte nicht weiter dauern. Einer von beiden, die sie sich gehörig wähnte, mußte verbluten; nach ihrer Meinung, nach ihrem Willen war Theodor schon zum Opfer ausersehen; sie sagte sich jetzt offen von ihm los.
Jch habe Dich nie geliebt, schrie sie ihm entgegen
dem Zorn und Rache den Kopf durchwirbelten, ließ ſich fortziehen, ohne zu wiſſen, wohin?
Theodor folgte, vom ſpoͤttiſchen Geziſch der Um- ſtehenden begleitet, die ſich in den Korridor’s zuſam- mengedraͤngt. Nur Baͤrbels ſchier unweiblicher Koͤr- perkraft war es moͤglich, die Raſenden im engen Wagen auseinander zu halten. Theodors Naͤgel ſuch- ten fortwaͤhrend Antons Geſicht und Kehle. Dieſer wies ihn zuruͤck mit den ſtets wiederholten Worten: „Geduld, mein Herr, ſcharfe Klingen kratzen tiefer!“
Jm Hôtel angelangt, bei verſchloſſenen Thuͤren, begannen dieſe drei Menſchen einen jener Auftritte, wie nur da moͤglich ſind, wo ungezuͤgelte Leidenſchaf- ten, zu beſtialiſcher Wildheit ausbrechend, den letzten Zaum zerreißen, den herkoͤmmliche Sitte ihnen bisher noch auferlegte.
Jetzt galt auch fuͤr Baͤrbel kein Bedenken, kein Zuruͤckhalten mehr. Die Luͤge, welche ſie ſeit laͤnger als drei Jahren durchgefuͤhrt, konnte nicht weiter dauern. Einer von beiden, die ſie ſich gehoͤrig waͤhnte, mußte verbluten; nach ihrer Meinung, nach ihrem Willen war Theodor ſchon zum Opfer auserſehen; ſie ſagte ſich jetzt offen von ihm los.
Jch habe Dich nie geliebt, ſchrie ſie ihm entgegen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0320"n="318"/>
dem Zorn und Rache den Kopf durchwirbelten, ließ<lb/>ſich fortziehen, ohne zu wiſſen, wohin?</p><lb/><p>Theodor folgte, vom ſpoͤttiſchen Geziſch der Um-<lb/>ſtehenden begleitet, die ſich in den Korridor’s zuſam-<lb/>
mengedraͤngt. Nur Baͤrbels ſchier unweiblicher Koͤr-<lb/>
perkraft war es moͤglich, die Raſenden im engen<lb/>
Wagen auseinander zu halten. Theodors Naͤgel ſuch-<lb/>
ten fortwaͤhrend Antons Geſicht und Kehle. Dieſer<lb/>
wies ihn zuruͤck mit den ſtets wiederholten Worten:<lb/>„Geduld, mein Herr, ſcharfe Klingen kratzen tiefer!“</p><lb/><p>Jm H<hirendition="#aq">ô</hi>tel angelangt, bei verſchloſſenen Thuͤren,<lb/>
begannen dieſe drei Menſchen einen jener Auftritte,<lb/>
wie nur da moͤglich ſind, wo ungezuͤgelte Leidenſchaf-<lb/>
ten, zu beſtialiſcher Wildheit ausbrechend, den letzten<lb/>
Zaum zerreißen, den herkoͤmmliche Sitte ihnen bisher<lb/>
noch auferlegte.</p><lb/><p>Jetzt galt auch fuͤr Baͤrbel kein Bedenken, kein<lb/>
Zuruͤckhalten mehr. Die Luͤge, welche ſie ſeit laͤnger<lb/>
als drei Jahren durchgefuͤhrt, konnte nicht weiter<lb/>
dauern. Einer von beiden, die ſie ſich gehoͤrig waͤhnte,<lb/>
mußte verbluten; nach ihrer Meinung, nach ihrem<lb/>
Willen war Theodor ſchon zum Opfer auserſehen;<lb/>ſie ſagte ſich jetzt offen von ihm los.</p><lb/><p>Jch habe Dich nie geliebt, ſchrie ſie ihm entgegen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[318/0320]
dem Zorn und Rache den Kopf durchwirbelten, ließ
ſich fortziehen, ohne zu wiſſen, wohin?
Theodor folgte, vom ſpoͤttiſchen Geziſch der Um-
ſtehenden begleitet, die ſich in den Korridor’s zuſam-
mengedraͤngt. Nur Baͤrbels ſchier unweiblicher Koͤr-
perkraft war es moͤglich, die Raſenden im engen
Wagen auseinander zu halten. Theodors Naͤgel ſuch-
ten fortwaͤhrend Antons Geſicht und Kehle. Dieſer
wies ihn zuruͤck mit den ſtets wiederholten Worten:
„Geduld, mein Herr, ſcharfe Klingen kratzen tiefer!“
Jm Hôtel angelangt, bei verſchloſſenen Thuͤren,
begannen dieſe drei Menſchen einen jener Auftritte,
wie nur da moͤglich ſind, wo ungezuͤgelte Leidenſchaf-
ten, zu beſtialiſcher Wildheit ausbrechend, den letzten
Zaum zerreißen, den herkoͤmmliche Sitte ihnen bisher
noch auferlegte.
Jetzt galt auch fuͤr Baͤrbel kein Bedenken, kein
Zuruͤckhalten mehr. Die Luͤge, welche ſie ſeit laͤnger
als drei Jahren durchgefuͤhrt, konnte nicht weiter
dauern. Einer von beiden, die ſie ſich gehoͤrig waͤhnte,
mußte verbluten; nach ihrer Meinung, nach ihrem
Willen war Theodor ſchon zum Opfer auserſehen;
ſie ſagte ſich jetzt offen von ihm los.
Jch habe Dich nie geliebt, ſchrie ſie ihm entgegen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/320>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.