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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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fühlte sich zu ihr hingezogen in jener Sympathie, die
oftmals eben nur vorhanden ist, ohne daß man
Gründe für ihr Vorhandensein anzugeben vermöchte.
Er applaudirte aus Leibeskräften, obgleich Theodor
seinen schlechten Geschmack bespöttelte. Endlich schlug
dieser sich gar auf die Seite der lautesten Gegner,
stimmte fast wüthend in die rohen Aeußerungen des
Mißfallens ein und gebehrdete sich dabei so rücksichts-
los und doch absichtsvoll, daß es wirklich den Anschein
gewann, sein Zischen und Höhnen gelte minder einer
ihm höchst gleichgültigen Sängerin, als vielmehr dem
sie protegirenden "Hausfreunde", dem er durch diese
Opposition das erwünschte Zeugniß lange verhaltenen
und ausbrechenden Grolles ablegen wolle.

Bei der Romanze von der Weide, dieser einfachen,
himmlischen Melodie, durch welche der Schwan von
Pesaro, wenn er sonst nichts gesungen, unsterblich sein
würde, bildeten sich im Saale zwei entgegengesetzte
Parteien. Die Carina trug dies Sterbelied eines
scheidenden Engels mit so vollendeter Meisterschaft
vor, der Schmerz ihrer Seele über schon erlittene
Schmach redete so tief und ergreifend aus diesen
Klängen, daß böser Wille und unerbittliche Kritik
verstummten. Für einen Augenblick beruhigten sich

fuͤhlte ſich zu ihr hingezogen in jener Sympathie, die
oftmals eben nur vorhanden iſt, ohne daß man
Gruͤnde fuͤr ihr Vorhandenſein anzugeben vermoͤchte.
Er applaudirte aus Leibeskraͤften, obgleich Theodor
ſeinen ſchlechten Geſchmack beſpoͤttelte. Endlich ſchlug
dieſer ſich gar auf die Seite der lauteſten Gegner,
ſtimmte faſt wuͤthend in die rohen Aeußerungen des
Mißfallens ein und gebehrdete ſich dabei ſo ruͤckſichts-
los und doch abſichtsvoll, daß es wirklich den Anſchein
gewann, ſein Ziſchen und Hoͤhnen gelte minder einer
ihm hoͤchſt gleichguͤltigen Saͤngerin, als vielmehr dem
ſie protegirenden „Hausfreunde“, dem er durch dieſe
Oppoſition das erwuͤnſchte Zeugniß lange verhaltenen
und ausbrechenden Grolles ablegen wolle.

Bei der Romanze von der Weide, dieſer einfachen,
himmliſchen Melodie, durch welche der Schwan von
Peſaro, wenn er ſonſt nichts geſungen, unſterblich ſein
wuͤrde, bildeten ſich im Saale zwei entgegengeſetzte
Parteien. Die Carina trug dies Sterbelied eines
ſcheidenden Engels mit ſo vollendeter Meiſterſchaft
vor, der Schmerz ihrer Seele uͤber ſchon erlittene
Schmach redete ſo tief und ergreifend aus dieſen
Klaͤngen, daß boͤſer Wille und unerbittliche Kritik
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[316/0318] fuͤhlte ſich zu ihr hingezogen in jener Sympathie, die oftmals eben nur vorhanden iſt, ohne daß man Gruͤnde fuͤr ihr Vorhandenſein anzugeben vermoͤchte. Er applaudirte aus Leibeskraͤften, obgleich Theodor ſeinen ſchlechten Geſchmack beſpoͤttelte. Endlich ſchlug dieſer ſich gar auf die Seite der lauteſten Gegner, ſtimmte faſt wuͤthend in die rohen Aeußerungen des Mißfallens ein und gebehrdete ſich dabei ſo ruͤckſichts- los und doch abſichtsvoll, daß es wirklich den Anſchein gewann, ſein Ziſchen und Hoͤhnen gelte minder einer ihm hoͤchſt gleichguͤltigen Saͤngerin, als vielmehr dem ſie protegirenden „Hausfreunde“, dem er durch dieſe Oppoſition das erwuͤnſchte Zeugniß lange verhaltenen und ausbrechenden Grolles ablegen wolle. Bei der Romanze von der Weide, dieſer einfachen, himmliſchen Melodie, durch welche der Schwan von Peſaro, wenn er ſonſt nichts geſungen, unſterblich ſein wuͤrde, bildeten ſich im Saale zwei entgegengeſetzte Parteien. Die Carina trug dies Sterbelied eines ſcheidenden Engels mit ſo vollendeter Meiſterſchaft vor, der Schmerz ihrer Seele uͤber ſchon erlittene Schmach redete ſo tief und ergreifend aus dieſen Klaͤngen, daß boͤſer Wille und unerbittliche Kritik verſtummten. Fuͤr einen Augenblick beruhigten ſich

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/318>, abgerufen am 26.11.2024.