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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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die mit ihm vorgegangen seit der Trennung von
Käthchen. Jch bin viel schlechter geworden, wie ich
im vergangenen Jahre gewesen! murmelte er vor sich
hin, während Bärbel hinter Theodors Rücken ihm
die unverschämtesten Vertraulichkeiten zumuthete.

Signora Carina war allerdings die Begleiterin
Carino's; war dieselbe, die für den armen Geiger
gesammelt und dabei mit Anton beredete Blicke
gewechselt hatte. Er erkannte sie augenblicklich.

Die Arme mußte sich recht abquälen. Man hörte
ihr an, daß sie einst vortrefflich gesungen; Einiges
gelang ihr noch heute. Aber Kraft wie Schmelz der
Stimme schienen verloren; sie entwickelte kein Selbst-
vertrauen mehr; einige hohe Töne versagten; einige
kunstreiche Figuren mißriethen; jung war sie auch
nicht mehr; die Spuren einstmaliger Schönheit ver-
mochten nicht, sie vor Unglück zu schützen; ihr Urtheil
war gefällt.

Schon im zweiten Akte ließen sich gellende Töne
des Tadels vernehmen, deren feindselig-schauderhafte
Schärfe das Herz der Unglücklichen zu durchschneiden
schien. Sie zuckte zusammen, wie wenn Messer ihre
Brust verwundeten. Anton empfand mehr als gewöhn-
liches Mitleid, er fühlte innige Theilnahme für sie,

die mit ihm vorgegangen ſeit der Trennung von
Kaͤthchen. Jch bin viel ſchlechter geworden, wie ich
im vergangenen Jahre geweſen! murmelte er vor ſich
hin, waͤhrend Baͤrbel hinter Theodors Ruͤcken ihm
die unverſchaͤmteſten Vertraulichkeiten zumuthete.

Signora Carina war allerdings die Begleiterin
Carino’s; war dieſelbe, die fuͤr den armen Geiger
geſammelt und dabei mit Anton beredete Blicke
gewechſelt hatte. Er erkannte ſie augenblicklich.

Die Arme mußte ſich recht abquaͤlen. Man hoͤrte
ihr an, daß ſie einſt vortrefflich geſungen; Einiges
gelang ihr noch heute. Aber Kraft wie Schmelz der
Stimme ſchienen verloren; ſie entwickelte kein Selbſt-
vertrauen mehr; einige hohe Toͤne verſagten; einige
kunſtreiche Figuren mißriethen; jung war ſie auch
nicht mehr; die Spuren einſtmaliger Schoͤnheit ver-
mochten nicht, ſie vor Ungluͤck zu ſchuͤtzen; ihr Urtheil
war gefaͤllt.

Schon im zweiten Akte ließen ſich gellende Toͤne
des Tadels vernehmen, deren feindſelig-ſchauderhafte
Schaͤrfe das Herz der Ungluͤcklichen zu durchſchneiden
ſchien. Sie zuckte zuſammen, wie wenn Meſſer ihre
Bruſt verwundeten. Anton empfand mehr als gewoͤhn-
liches Mitleid, er fuͤhlte innige Theilnahme fuͤr ſie,

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[315/0317] die mit ihm vorgegangen ſeit der Trennung von Kaͤthchen. Jch bin viel ſchlechter geworden, wie ich im vergangenen Jahre geweſen! murmelte er vor ſich hin, waͤhrend Baͤrbel hinter Theodors Ruͤcken ihm die unverſchaͤmteſten Vertraulichkeiten zumuthete. Signora Carina war allerdings die Begleiterin Carino’s; war dieſelbe, die fuͤr den armen Geiger geſammelt und dabei mit Anton beredete Blicke gewechſelt hatte. Er erkannte ſie augenblicklich. Die Arme mußte ſich recht abquaͤlen. Man hoͤrte ihr an, daß ſie einſt vortrefflich geſungen; Einiges gelang ihr noch heute. Aber Kraft wie Schmelz der Stimme ſchienen verloren; ſie entwickelte kein Selbſt- vertrauen mehr; einige hohe Toͤne verſagten; einige kunſtreiche Figuren mißriethen; jung war ſie auch nicht mehr; die Spuren einſtmaliger Schoͤnheit ver- mochten nicht, ſie vor Ungluͤck zu ſchuͤtzen; ihr Urtheil war gefaͤllt. Schon im zweiten Akte ließen ſich gellende Toͤne des Tadels vernehmen, deren feindſelig-ſchauderhafte Schaͤrfe das Herz der Ungluͤcklichen zu durchſchneiden ſchien. Sie zuckte zuſammen, wie wenn Meſſer ihre Bruſt verwundeten. Anton empfand mehr als gewoͤhn- liches Mitleid, er fuͤhlte innige Theilnahme fuͤr ſie,

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/317>, abgerufen am 26.11.2024.