denn bevor noch klare Einsicht daraus werden konnte, hatten Bärbels Liebkosungen Ahnung und Mahnung schon wieder verscheucht.
Monate vergingen. --
Monate, auf die unser Freund gar bald mit Schauder zurücksehen wird, wenn die schwellenden Blüthenkränze, in deren betäubendem Dufte sein Ge- wissen, seine Ehre, sein Rechtlichkeitsgefühl verstumm- ten, verblühend abgeblättert sind und er entdeckt, daß es Giftblumen waren, welche sich zum Kranz um Schlangen gewunden.
Jetzt noch täuscht, belügt er sich selbst. Er spot- tet seiner sentimentalen Sehnsucht nach Adelen; er nennt sich einen Thoren, weil er Käthchens Frieden geschont; er macht sich Vorwürfe, daß er sich jemals von dankbarer Treue für Laura zurückhalten ließ, daneben andere Bekanntschaften zu benützen, die man ihm darbot; ... und seiner Großmutter gedenkt er gar nicht mehr; wenigstens bemüht er sich, ihrer nicht zu gedenken; dämmert jedoch ihr Bild unwillkührlich in seiner Seele auf, dann scheucht er es ängstlich, hastig zurück, indem er voll Zorn über sich selbst ausruft: was soll mir das? Sie war alt und alte Leute müssen sterben!
denn bevor noch klare Einſicht daraus werden konnte, hatten Baͤrbels Liebkoſungen Ahnung und Mahnung ſchon wieder verſcheucht.
Monate vergingen. —
Monate, auf die unſer Freund gar bald mit Schauder zuruͤckſehen wird, wenn die ſchwellenden Bluͤthenkraͤnze, in deren betaͤubendem Dufte ſein Ge- wiſſen, ſeine Ehre, ſein Rechtlichkeitsgefuͤhl verſtumm- ten, verbluͤhend abgeblaͤttert ſind und er entdeckt, daß es Giftblumen waren, welche ſich zum Kranz um Schlangen gewunden.
Jetzt noch taͤuſcht, beluͤgt er ſich ſelbſt. Er ſpot- tet ſeiner ſentimentalen Sehnſucht nach Adelen; er nennt ſich einen Thoren, weil er Kaͤthchens Frieden geſchont; er macht ſich Vorwuͤrfe, daß er ſich jemals von dankbarer Treue fuͤr Laura zuruͤckhalten ließ, daneben andere Bekanntſchaften zu benuͤtzen, die man ihm darbot; ... und ſeiner Großmutter gedenkt er gar nicht mehr; wenigſtens bemuͤht er ſich, ihrer nicht zu gedenken; daͤmmert jedoch ihr Bild unwillkuͤhrlich in ſeiner Seele auf, dann ſcheucht er es aͤngſtlich, haſtig zuruͤck, indem er voll Zorn uͤber ſich ſelbſt ausruft: was ſoll mir das? Sie war alt und alte Leute muͤſſen ſterben!
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denn bevor noch klare Einſicht daraus werden konnte,
hatten Baͤrbels Liebkoſungen Ahnung und Mahnung
ſchon wieder verſcheucht.
Monate vergingen. —
Monate, auf die unſer Freund gar bald mit
Schauder zuruͤckſehen wird, wenn die ſchwellenden
Bluͤthenkraͤnze, in deren betaͤubendem Dufte ſein Ge-
wiſſen, ſeine Ehre, ſein Rechtlichkeitsgefuͤhl verſtumm-
ten, verbluͤhend abgeblaͤttert ſind und er entdeckt, daß
es Giftblumen waren, welche ſich zum Kranz um
Schlangen gewunden.
Jetzt noch taͤuſcht, beluͤgt er ſich ſelbſt. Er ſpot-
tet ſeiner ſentimentalen Sehnſucht nach Adelen; er
nennt ſich einen Thoren, weil er Kaͤthchens Frieden
geſchont; er macht ſich Vorwuͤrfe, daß er ſich jemals
von dankbarer Treue fuͤr Laura zuruͤckhalten ließ,
daneben andere Bekanntſchaften zu benuͤtzen, die man
ihm darbot; ... und ſeiner Großmutter gedenkt er gar
nicht mehr; wenigſtens bemuͤht er ſich, ihrer nicht zu
gedenken; daͤmmert jedoch ihr Bild unwillkuͤhrlich in
ſeiner Seele auf, dann ſcheucht er es aͤngſtlich, haſtig
zuruͤck, indem er voll Zorn uͤber ſich ſelbſt ausruft:
was ſoll mir das? Sie war alt und alte Leute muͤſſen
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/304>, abgerufen am 24.11.2024.
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