Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Wilderweinlaube vor ihm auf. Durch angestrengte
Prüfung dessen was bei dieser Vision in ihm vorging,
gerieth er endlich auf die wunderliche Muthmaßung,
sie sei entschieden an einen bestimmten Platz des großen
Schauspielsaales geknüpft. Gerade wenn sein Blick
an diesem hing, regten die heimathlichen Erinnerungen
sich am unverkennbarsten. Es dauerte lange, bis
ihm der Einfall kam, die Personen zu mustern, welche
sich an jenem Platze befanden. Er sah einen Herren
mit Brillengläsern, der ihm völlig fremd schien; an
dessen Seite ein Frauenzimmer, von dem, wie man
sich bisweilen ausdrückt, er durchaus nicht wußte,
wohin er es bringen solle! Daß ihm diese Dame
bekannt vorkomme, war keine Frage. Doch wo
konnte er sie kennen gelernt haben? Hier in Paris
gewiß nicht. Und sonst? Die Zahl seiner weiblichen
Bekanntschaften war unendlich gering, Name für
Name im Augenblick genannt.

"Nein, es ist ein Jrrthum. Jch kenne sie nicht!
Und dennoch ist sie es, sie ganz allein, deren Anblick,
noch ehe und bevor ich mir seiner klar bewußt wurde,
diesen ahnungsschweren Eindruck auf mich hervor-
gebracht! -- Und jetzt fixirt sie mich! -- Sie richtet
ihren Operngucker, -- sie reibt die Gläser mit dem

Wilderweinlaube vor ihm auf. Durch angeſtrengte
Pruͤfung deſſen was bei dieſer Viſion in ihm vorging,
gerieth er endlich auf die wunderliche Muthmaßung,
ſie ſei entſchieden an einen beſtimmten Platz des großen
Schauſpielſaales geknuͤpft. Gerade wenn ſein Blick
an dieſem hing, regten die heimathlichen Erinnerungen
ſich am unverkennbarſten. Es dauerte lange, bis
ihm der Einfall kam, die Perſonen zu muſtern, welche
ſich an jenem Platze befanden. Er ſah einen Herren
mit Brillenglaͤſern, der ihm voͤllig fremd ſchien; an
deſſen Seite ein Frauenzimmer, von dem, wie man
ſich bisweilen ausdruͤckt, er durchaus nicht wußte,
wohin er es bringen ſolle! Daß ihm dieſe Dame
bekannt vorkomme, war keine Frage. Doch wo
konnte er ſie kennen gelernt haben? Hier in Paris
gewiß nicht. Und ſonſt? Die Zahl ſeiner weiblichen
Bekanntſchaften war unendlich gering, Name fuͤr
Name im Augenblick genannt.

„Nein, es iſt ein Jrrthum. Jch kenne ſie nicht!
Und dennoch iſt ſie es, ſie ganz allein, deren Anblick,
noch ehe und bevor ich mir ſeiner klar bewußt wurde,
dieſen ahnungsſchweren Eindruck auf mich hervor-
gebracht! — Und jetzt fixirt ſie mich! — Sie richtet
ihren Operngucker, — ſie reibt die Glaͤſer mit dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0268" n="266"/>
Wilderweinlaube vor ihm auf. Durch ange&#x017F;trengte<lb/>
Pru&#x0364;fung de&#x017F;&#x017F;en was bei die&#x017F;er Vi&#x017F;ion in ihm vorging,<lb/>
gerieth er endlich auf die wunderliche Muthmaßung,<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ei ent&#x017F;chieden an einen be&#x017F;timmten Platz des großen<lb/>
Schau&#x017F;piel&#x017F;aales geknu&#x0364;pft. Gerade wenn &#x017F;ein Blick<lb/>
an die&#x017F;em hing, regten die heimathlichen Erinnerungen<lb/>
&#x017F;ich am unverkennbar&#x017F;ten. Es dauerte lange, bis<lb/>
ihm der Einfall kam, die Per&#x017F;onen zu mu&#x017F;tern, welche<lb/>
&#x017F;ich an jenem Platze befanden. Er &#x017F;ah einen Herren<lb/>
mit Brillengla&#x0364;&#x017F;ern, der ihm vo&#x0364;llig fremd &#x017F;chien; an<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Seite ein Frauenzimmer, von dem, wie man<lb/>
&#x017F;ich bisweilen ausdru&#x0364;ckt, er durchaus nicht wußte,<lb/>
wohin er es bringen &#x017F;olle! Daß ihm die&#x017F;e Dame<lb/>
bekannt vorkomme, war keine Frage. Doch wo<lb/>
konnte er &#x017F;ie kennen gelernt haben? Hier in Paris<lb/>
gewiß nicht. Und &#x017F;on&#x017F;t? Die Zahl &#x017F;einer weiblichen<lb/>
Bekannt&#x017F;chaften war unendlich gering, Name fu&#x0364;r<lb/>
Name im Augenblick genannt.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, es i&#x017F;t ein Jrrthum. Jch kenne &#x017F;ie nicht!<lb/>
Und dennoch i&#x017F;t &#x017F;ie es, &#x017F;ie ganz allein, deren Anblick,<lb/>
noch ehe und bevor ich mir &#x017F;einer klar bewußt wurde,<lb/>
die&#x017F;en ahnungs&#x017F;chweren Eindruck auf mich hervor-<lb/>
gebracht! &#x2014; Und jetzt fixirt &#x017F;ie mich! &#x2014; Sie richtet<lb/>
ihren Operngucker, &#x2014; &#x017F;ie reibt die Gla&#x0364;&#x017F;er mit dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0268] Wilderweinlaube vor ihm auf. Durch angeſtrengte Pruͤfung deſſen was bei dieſer Viſion in ihm vorging, gerieth er endlich auf die wunderliche Muthmaßung, ſie ſei entſchieden an einen beſtimmten Platz des großen Schauſpielſaales geknuͤpft. Gerade wenn ſein Blick an dieſem hing, regten die heimathlichen Erinnerungen ſich am unverkennbarſten. Es dauerte lange, bis ihm der Einfall kam, die Perſonen zu muſtern, welche ſich an jenem Platze befanden. Er ſah einen Herren mit Brillenglaͤſern, der ihm voͤllig fremd ſchien; an deſſen Seite ein Frauenzimmer, von dem, wie man ſich bisweilen ausdruͤckt, er durchaus nicht wußte, wohin er es bringen ſolle! Daß ihm dieſe Dame bekannt vorkomme, war keine Frage. Doch wo konnte er ſie kennen gelernt haben? Hier in Paris gewiß nicht. Und ſonſt? Die Zahl ſeiner weiblichen Bekanntſchaften war unendlich gering, Name fuͤr Name im Augenblick genannt. „Nein, es iſt ein Jrrthum. Jch kenne ſie nicht! Und dennoch iſt ſie es, ſie ganz allein, deren Anblick, noch ehe und bevor ich mir ſeiner klar bewußt wurde, dieſen ahnungsſchweren Eindruck auf mich hervor- gebracht! — Und jetzt fixirt ſie mich! — Sie richtet ihren Operngucker, — ſie reibt die Glaͤſer mit dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/268
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/268>, abgerufen am 24.11.2024.