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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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durch eine bedeutende Arbeit in Anspruch genommen
auf längere Zeit von mir entfernt gehalten wurde.
Diese Vernachlässigung von seiner Seite machte mir's
möglich, mit meinen Gefühlen, mit meiner Liebe
mich in mich selbst zurückzuziehen, und ein inneres
Dasein zu führen, während ich, in sittsamer Selbst-
beherrschung, jeden Anspruch auf äußerliches Glück
unterdrückte.

Jetzt ist er frei. Er benützt diese Freiheit, sich
mir wiederum zuzuwenden; er verlangt seine Gattin,
der Unglückliche, die nicht mehr ihm gehört, die sich
ihm nicht mehr geben kann, weil sie eines Anderen
ist. Die Frage entsteht nur, ob der Andere sie will?
Ob er sie werth hält, sein Eigenthum zu besitzen?
Darüber haben Sie zu entscheiden. Jst Jhre Zurück-
haltung Gleichgültigkeit gewesen, so lassen Sie mich
ruhig ziehen. Weit, weit weg aus Jhrer Nähe.
Neben Jhnen, ohne mit Jhnen zu sein, vermag ich
nicht länger auszudauern. Weiter hab' ich Jhnen
[nichts] zu sagen."

Jch will meinen Helden keinesweges in das
Gewand der Engel kleiden. Jch will ihn menschlich
schildern, wie ich bisher gethan. Deshalb auch darf
ich hier die Wahrheit nicht verhehlen. Er war seiner

durch eine bedeutende Arbeit in Anſpruch genommen
auf laͤngere Zeit von mir entfernt gehalten wurde.
Dieſe Vernachlaͤſſigung von ſeiner Seite machte mir’s
moͤglich, mit meinen Gefuͤhlen, mit meiner Liebe
mich in mich ſelbſt zuruͤckzuziehen, und ein inneres
Daſein zu fuͤhren, waͤhrend ich, in ſittſamer Selbſt-
beherrſchung, jeden Anſpruch auf aͤußerliches Gluͤck
unterdruͤckte.

Jetzt iſt er frei. Er benuͤtzt dieſe Freiheit, ſich
mir wiederum zuzuwenden; er verlangt ſeine Gattin,
der Ungluͤckliche, die nicht mehr ihm gehoͤrt, die ſich
ihm nicht mehr geben kann, weil ſie eines Anderen
iſt. Die Frage entſteht nur, ob der Andere ſie will?
Ob er ſie werth haͤlt, ſein Eigenthum zu beſitzen?
Daruͤber haben Sie zu entſcheiden. Jſt Jhre Zuruͤck-
haltung Gleichguͤltigkeit geweſen, ſo laſſen Sie mich
ruhig ziehen. Weit, weit weg aus Jhrer Naͤhe.
Neben Jhnen, ohne mit Jhnen zu ſein, vermag ich
nicht laͤnger auszudauern. Weiter hab’ ich Jhnen
[nichts] zu ſagen.“

Jch will meinen Helden keinesweges in das
Gewand der Engel kleiden. Jch will ihn menſchlich
ſchildern, wie ich bisher gethan. Deshalb auch darf
ich hier die Wahrheit nicht verhehlen. Er war ſeiner

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[253/0255] durch eine bedeutende Arbeit in Anſpruch genommen auf laͤngere Zeit von mir entfernt gehalten wurde. Dieſe Vernachlaͤſſigung von ſeiner Seite machte mir’s moͤglich, mit meinen Gefuͤhlen, mit meiner Liebe mich in mich ſelbſt zuruͤckzuziehen, und ein inneres Daſein zu fuͤhren, waͤhrend ich, in ſittſamer Selbſt- beherrſchung, jeden Anſpruch auf aͤußerliches Gluͤck unterdruͤckte. Jetzt iſt er frei. Er benuͤtzt dieſe Freiheit, ſich mir wiederum zuzuwenden; er verlangt ſeine Gattin, der Ungluͤckliche, die nicht mehr ihm gehoͤrt, die ſich ihm nicht mehr geben kann, weil ſie eines Anderen iſt. Die Frage entſteht nur, ob der Andere ſie will? Ob er ſie werth haͤlt, ſein Eigenthum zu beſitzen? Daruͤber haben Sie zu entſcheiden. Jſt Jhre Zuruͤck- haltung Gleichguͤltigkeit geweſen, ſo laſſen Sie mich ruhig ziehen. Weit, weit weg aus Jhrer Naͤhe. Neben Jhnen, ohne mit Jhnen zu ſein, vermag ich nicht laͤnger auszudauern. Weiter hab’ ich Jhnen nichts zu ſagen.“ Jch will meinen Helden keinesweges in das Gewand der Engel kleiden. Jch will ihn menſchlich ſchildern, wie ich bisher gethan. Deshalb auch darf ich hier die Wahrheit nicht verhehlen. Er war ſeiner

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/255>, abgerufen am 24.11.2024.