selbst weder buchstabirt noch zusammenrechnet, son- dern, daß er nur auf einen Wink seines Lehrers die- jenigen Blätter mit dem Schnabel faßt, die gerade nöthig sind. Aber schon das ist bewundernswürdig und setzt eben so viel Geschick, als übermenschliche Geduld und Ausdauer von Seiten des Herrn Jean- tet voraus. Einen Hund kann man leicht zum apor- tiren abrichten; ebenso Herr Guillaume seine dressir- ten Pferde; dafür giebt es die liebe und beliebte Peitsche. Aber ein kleines, gelbes Vögelchen, zart wie Spinnenwebe, womit straft man dieses, ohne es zu zermalmen? Das versteh' ich nicht. Dabei sehen die Thierchen so frisch und glatt und munter aus, wie nur jemals ein Rothschwänzlein auf unserm Lie- benauer Gartenzaun. Vorzüglich der Herr Professor und der Student. Weniger "komfortabel," um mit Miß Katharine zu reden, scheint sich der Schuljunge zu fühlen; doch das machen die Studien der Anfangs- gründe; aller Anfang ist schwer.
Madame Vlämert muß das sehen; ja, das muß sie sehen. Die Hunde-Komödie fand sie schon in der Beschreibung ekelhaft, weshalb ich ihr nicht weiter zuredete. Dieses unschuldige Schauspielchen aber wird ihrem zarten Sinne und ihrer Großbritannischen
ſelbſt weder buchſtabirt noch zuſammenrechnet, ſon- dern, daß er nur auf einen Wink ſeines Lehrers die- jenigen Blaͤtter mit dem Schnabel faßt, die gerade noͤthig ſind. Aber ſchon das iſt bewundernswuͤrdig und ſetzt eben ſo viel Geſchick, als uͤbermenſchliche Geduld und Ausdauer von Seiten des Herrn Jean- tet voraus. Einen Hund kann man leicht zum apor- tiren abrichten; ebenſo Herr Guillaume ſeine dreſſir- ten Pferde; dafuͤr giebt es die liebe und beliebte Peitſche. Aber ein kleines, gelbes Voͤgelchen, zart wie Spinnenwebe, womit ſtraft man dieſes, ohne es zu zermalmen? Das verſteh’ ich nicht. Dabei ſehen die Thierchen ſo friſch und glatt und munter aus, wie nur jemals ein Rothſchwaͤnzlein auf unſerm Lie- benauer Gartenzaun. Vorzuͤglich der Herr Profeſſor und der Student. Weniger „komfortabel,“ um mit Miß Katharine zu reden, ſcheint ſich der Schuljunge zu fuͤhlen; doch das machen die Studien der Anfangs- gruͤnde; aller Anfang iſt ſchwer.
Madame Vlaͤmert muß das ſehen; ja, das muß ſie ſehen. Die Hunde-Komoͤdie fand ſie ſchon in der Beſchreibung ekelhaft, weshalb ich ihr nicht weiter zuredete. Dieſes unſchuldige Schauſpielchen aber wird ihrem zarten Sinne und ihrer Großbritanniſchen
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ſelbſt weder buchſtabirt noch zuſammenrechnet, ſon-
dern, daß er nur auf einen Wink ſeines Lehrers die-
jenigen Blaͤtter mit dem Schnabel faßt, die gerade
noͤthig ſind. Aber ſchon das iſt bewundernswuͤrdig
und ſetzt eben ſo viel Geſchick, als uͤbermenſchliche
Geduld und Ausdauer von Seiten des Herrn Jean-
tet voraus. Einen Hund kann man leicht zum apor-
tiren abrichten; ebenſo Herr Guillaume ſeine dreſſir-
ten Pferde; dafuͤr giebt es die liebe und beliebte
Peitſche. Aber ein kleines, gelbes Voͤgelchen, zart
wie Spinnenwebe, womit ſtraft man dieſes, ohne es
zu zermalmen? Das verſteh’ ich nicht. Dabei ſehen
die Thierchen ſo friſch und glatt und munter aus,
wie nur jemals ein Rothſchwaͤnzlein auf unſerm Lie-
benauer Gartenzaun. Vorzuͤglich der Herr Profeſſor
und der Student. Weniger „komfortabel,“ um mit
Miß Katharine zu reden, ſcheint ſich der Schuljunge
zu fuͤhlen; doch das machen die Studien der Anfangs-
gruͤnde; aller Anfang iſt ſchwer.
Madame Vlaͤmert muß das ſehen; ja, das muß
ſie ſehen. Die Hunde-Komoͤdie fand ſie ſchon in der
Beſchreibung ekelhaft, weshalb ich ihr nicht weiter
zuredete. Dieſes unſchuldige Schauſpielchen aber
wird ihrem zarten Sinne und ihrer Großbritanniſchen
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/238>, abgerufen am 23.11.2024.
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