ihren Gemal zu erwecken, der sich eines Todtenschla- fes erfreut, und sie bekannte mir, daß sie in Bangig- keit vergehen müsse, wenn sie nicht mit einem leben- digen Wesen reden könne, während Gott mit der Erde zürne. Die schöne Frau stammt, wie mir scheint, aus einer Familie von sogenannten Pietisten oder Puritanern! Desto seltsamer, daß ihre Eltern ihr doch gestattet haben, einen umherziehenden Künstler zu heirathen! Die Verzweiflung die sie in ihrer Furcht zeigte, und die ich durch Gründe zu widerlegen suchte, so weit mein schwacher Geist ausreichen wollte, führte uns auf religiöse Gespräche. Leider konnte ich doch nicht Alles von mir geben, was ich etwa auf dem Herzen gehabt, weil ich mich in ihrer Sprache noch nicht fertig genug ausdrücke; denn es ist ein Ande- res, bei Tische zu sagen: ich bitte noch um ein Stück Fleisch! und wieder ein Anderes, Meinungen und Ansichten zu entwickeln. Dazu gebraucht man seine eigene Sprache, in der man versucht hat, über das- jenige zu denken, was man mittheilen möchte. Wie ich mit Laura lebte war ich wohl schon so weit, bis- weilen französisch zu denken. Wie lange würd' ich wohl mit Käthchen leben müssen, um englisch denken zu lernen?
ihren Gemal zu erwecken, der ſich eines Todtenſchla- fes erfreut, und ſie bekannte mir, daß ſie in Bangig- keit vergehen muͤſſe, wenn ſie nicht mit einem leben- digen Weſen reden koͤnne, waͤhrend Gott mit der Erde zuͤrne. Die ſchoͤne Frau ſtammt, wie mir ſcheint, aus einer Familie von ſogenannten Pietiſten oder Puritanern! Deſto ſeltſamer, daß ihre Eltern ihr doch geſtattet haben, einen umherziehenden Kuͤnſtler zu heirathen! Die Verzweiflung die ſie in ihrer Furcht zeigte, und die ich durch Gruͤnde zu widerlegen ſuchte, ſo weit mein ſchwacher Geiſt ausreichen wollte, fuͤhrte uns auf religioͤſe Geſpraͤche. Leider konnte ich doch nicht Alles von mir geben, was ich etwa auf dem Herzen gehabt, weil ich mich in ihrer Sprache noch nicht fertig genug ausdruͤcke; denn es iſt ein Ande- res, bei Tiſche zu ſagen: ich bitte noch um ein Stuͤck Fleiſch! und wieder ein Anderes, Meinungen und Anſichten zu entwickeln. Dazu gebraucht man ſeine eigene Sprache, in der man verſucht hat, uͤber das- jenige zu denken, was man mittheilen moͤchte. Wie ich mit Laura lebte war ich wohl ſchon ſo weit, bis- weilen franzoͤſiſch zu denken. Wie lange wuͤrd’ ich wohl mit Kaͤthchen leben muͤſſen, um engliſch denken zu lernen?
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ihren Gemal zu erwecken, der ſich eines Todtenſchla-
fes erfreut, und ſie bekannte mir, daß ſie in Bangig-
keit vergehen muͤſſe, wenn ſie nicht mit einem leben-
digen Weſen reden koͤnne, waͤhrend Gott mit der
Erde zuͤrne. Die ſchoͤne Frau ſtammt, wie mir ſcheint,
aus einer Familie von ſogenannten Pietiſten oder
Puritanern! Deſto ſeltſamer, daß ihre Eltern ihr doch
geſtattet haben, einen umherziehenden Kuͤnſtler zu
heirathen! Die Verzweiflung die ſie in ihrer Furcht
zeigte, und die ich durch Gruͤnde zu widerlegen ſuchte,
ſo weit mein ſchwacher Geiſt ausreichen wollte, fuͤhrte
uns auf religioͤſe Geſpraͤche. Leider konnte ich doch
nicht Alles von mir geben, was ich etwa auf dem
Herzen gehabt, weil ich mich in ihrer Sprache noch
nicht fertig genug ausdruͤcke; denn es iſt ein Ande-
res, bei Tiſche zu ſagen: ich bitte noch um ein Stuͤck
Fleiſch! und wieder ein Anderes, Meinungen und
Anſichten zu entwickeln. Dazu gebraucht man ſeine
eigene Sprache, in der man verſucht hat, uͤber das-
jenige zu denken, was man mittheilen moͤchte. Wie
ich mit Laura lebte war ich wohl ſchon ſo weit, bis-
weilen franzoͤſiſch zu denken. Wie lange wuͤrd’ ich
wohl mit Kaͤthchen leben muͤſſen, um engliſch denken
zu lernen?
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/235>, abgerufen am 23.11.2024.
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