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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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lichen Bezug auf dieselben, wie einen künstlerisch und
nicht unwissenschaftlich ausgebildeten Mann erscheinen
ließ. Was Sie hier sehen, sagte er, ist nur für die
Menge berechnet, denn ich muß mich ernähren. An-
dere, bedeutendere Arbeiten verwahr' ich in jenem
Seitenkabinet, aus welchem ich soeben mit den beiden
Herren trat. Darin verberg' ich, -- denn verborgen
müssen sie bleiben, des lieben sittlichen Anstandes hal-
ber, -- die Erzeugnisse meiner Mußestunden: Nach-
bildungen theils merkwürdiger anatomischer Präpa-
rate, theils verschiedener Natur-Mysterien, wie
dieselben vor Damen, Kindern -- überhaupt öffentlich
nicht ausgestellt werden dürfen. Den Ausdruck des
Menschlichen zu treffen, in sofern er dem Antlitz gei-
stige Weihe giebt, gelingt Künstlern meiner Gattung
nur unvollkommen. Wir sollen plastische Bildner
sein und Maler, beides zugleich; deshalb sind wir
streng genommen keines von beiden. Jch sehe das
deutlich ein, bin darum auch unzufrieden mit dem
was hier prunkt und prangt. Aber meine kleinen
Arbeiten da drinn, in der heimlichen Kammer, darf
ich vollkommen nennen auf ihre Weise. Sie maßen
sich nicht an, Leidenschaften, Gefühle, Charaktere
auszudrücken; sie bedürfen keiner Augen, die Feuer

lichen Bezug auf dieſelben, wie einen kuͤnſtleriſch und
nicht unwiſſenſchaftlich ausgebildeten Mann erſcheinen
ließ. Was Sie hier ſehen, ſagte er, iſt nur fuͤr die
Menge berechnet, denn ich muß mich ernaͤhren. An-
dere, bedeutendere Arbeiten verwahr’ ich in jenem
Seitenkabinet, aus welchem ich ſoeben mit den beiden
Herren trat. Darin verberg’ ich, — denn verborgen
muͤſſen ſie bleiben, des lieben ſittlichen Anſtandes hal-
ber, — die Erzeugniſſe meiner Mußeſtunden: Nach-
bildungen theils merkwuͤrdiger anatomiſcher Praͤpa-
rate, theils verſchiedener Natur-Myſterien, wie
dieſelben vor Damen, Kindern — uͤberhaupt oͤffentlich
nicht ausgeſtellt werden duͤrfen. Den Ausdruck des
Menſchlichen zu treffen, in ſofern er dem Antlitz gei-
ſtige Weihe giebt, gelingt Kuͤnſtlern meiner Gattung
nur unvollkommen. Wir ſollen plaſtiſche Bildner
ſein und Maler, beides zugleich; deshalb ſind wir
ſtreng genommen keines von beiden. Jch ſehe das
deutlich ein, bin darum auch unzufrieden mit dem
was hier prunkt und prangt. Aber meine kleinen
Arbeiten da drinn, in der heimlichen Kammer, darf
ich vollkommen nennen auf ihre Weiſe. Sie maßen
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[215/0217] lichen Bezug auf dieſelben, wie einen kuͤnſtleriſch und nicht unwiſſenſchaftlich ausgebildeten Mann erſcheinen ließ. Was Sie hier ſehen, ſagte er, iſt nur fuͤr die Menge berechnet, denn ich muß mich ernaͤhren. An- dere, bedeutendere Arbeiten verwahr’ ich in jenem Seitenkabinet, aus welchem ich ſoeben mit den beiden Herren trat. Darin verberg’ ich, — denn verborgen muͤſſen ſie bleiben, des lieben ſittlichen Anſtandes hal- ber, — die Erzeugniſſe meiner Mußeſtunden: Nach- bildungen theils merkwuͤrdiger anatomiſcher Praͤpa- rate, theils verſchiedener Natur-Myſterien, wie dieſelben vor Damen, Kindern — uͤberhaupt oͤffentlich nicht ausgeſtellt werden duͤrfen. Den Ausdruck des Menſchlichen zu treffen, in ſofern er dem Antlitz gei- ſtige Weihe giebt, gelingt Kuͤnſtlern meiner Gattung nur unvollkommen. Wir ſollen plaſtiſche Bildner ſein und Maler, beides zugleich; deshalb ſind wir ſtreng genommen keines von beiden. Jch ſehe das deutlich ein, bin darum auch unzufrieden mit dem was hier prunkt und prangt. Aber meine kleinen Arbeiten da drinn, in der heimlichen Kammer, darf ich vollkommen nennen auf ihre Weiſe. Sie maßen ſich nicht an, Leidenſchaften, Gefuͤhle, Charaktere auszudruͤcken; ſie beduͤrfen keiner Augen, die Feuer

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/217>, abgerufen am 23.11.2024.