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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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Gotteslästerung. Weiß er das? Jch bin fromm,
auch wenn ich nicht zur Kirche gehe. Jch bin tugend-
haft, trotz meiner Laster. Jch bin ein reines Kind,
trotz all' dem Schmutz der an mir klebt. Jch glaube
an Gott. Jch bin dankbar gegen ihn; dankbarer,
als unser hochpreisliches, höchstverehrungswürdiges
Publikum. Und weil ich fromm bin, weil ich an
Jhn glaube, glaub' ich auch an mich und meine
Kunst, für die Er mich geschaffen hat. Begreift man
diese Konsequenz? Und wenn ich geklagt habe, daß
die Seele des Schauspielers sich selbst verleugnen,
sich untreu werden; daß sie sich in die Seele, in den
Leib Anderer versetzen; daß mit einem Worte der
Darsteller seine Persönlichkeit aufgeben müsse, so war
das eine Klage aus dem beschränkten Gesichtspunkt
beschränkter Kleinkrämer, in welche unser Einer ein-
stimmt, wenn er schwache Stunden hat. Höheren
Ortes erscheint sie albern. Soll etwa der Advokat,
der eine schlechte Sache zu vertheidigen, der den
Prozeß eines Schurken zu führen verpflichtet wird,
deshalb ein Schurke heißen, weil er alle Segel auf-
spannt, demjenigen zwischen Galgen und Rath vor-
beizuhelfen, dessen Unrecht er so klar durchschaut, wie
die Richter? Thut er nicht seine verdammte Schuldig-

Gotteslaͤſterung. Weiß er das? Jch bin fromm,
auch wenn ich nicht zur Kirche gehe. Jch bin tugend-
haft, trotz meiner Laſter. Jch bin ein reines Kind,
trotz all’ dem Schmutz der an mir klebt. Jch glaube
an Gott. Jch bin dankbar gegen ihn; dankbarer,
als unſer hochpreisliches, hoͤchſtverehrungswuͤrdiges
Publikum. Und weil ich fromm bin, weil ich an
Jhn glaube, glaub’ ich auch an mich und meine
Kunſt, fuͤr die Er mich geſchaffen hat. Begreift man
dieſe Konſequenz? Und wenn ich geklagt habe, daß
die Seele des Schauſpielers ſich ſelbſt verleugnen,
ſich untreu werden; daß ſie ſich in die Seele, in den
Leib Anderer verſetzen; daß mit einem Worte der
Darſteller ſeine Perſoͤnlichkeit aufgeben muͤſſe, ſo war
das eine Klage aus dem beſchraͤnkten Geſichtspunkt
beſchraͤnkter Kleinkraͤmer, in welche unſer Einer ein-
ſtimmt, wenn er ſchwache Stunden hat. Hoͤheren
Ortes erſcheint ſie albern. Soll etwa der Advokat,
der eine ſchlechte Sache zu vertheidigen, der den
Prozeß eines Schurken zu fuͤhren verpflichtet wird,
deshalb ein Schurke heißen, weil er alle Segel auf-
ſpannt, demjenigen zwiſchen Galgen und Rath vor-
beizuhelfen, deſſen Unrecht er ſo klar durchſchaut, wie
die Richter? Thut er nicht ſeine verdammte Schuldig-

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[114/0116] Gotteslaͤſterung. Weiß er das? Jch bin fromm, auch wenn ich nicht zur Kirche gehe. Jch bin tugend- haft, trotz meiner Laſter. Jch bin ein reines Kind, trotz all’ dem Schmutz der an mir klebt. Jch glaube an Gott. Jch bin dankbar gegen ihn; dankbarer, als unſer hochpreisliches, hoͤchſtverehrungswuͤrdiges Publikum. Und weil ich fromm bin, weil ich an Jhn glaube, glaub’ ich auch an mich und meine Kunſt, fuͤr die Er mich geſchaffen hat. Begreift man dieſe Konſequenz? Und wenn ich geklagt habe, daß die Seele des Schauſpielers ſich ſelbſt verleugnen, ſich untreu werden; daß ſie ſich in die Seele, in den Leib Anderer verſetzen; daß mit einem Worte der Darſteller ſeine Perſoͤnlichkeit aufgeben muͤſſe, ſo war das eine Klage aus dem beſchraͤnkten Geſichtspunkt beſchraͤnkter Kleinkraͤmer, in welche unſer Einer ein- ſtimmt, wenn er ſchwache Stunden hat. Hoͤheren Ortes erſcheint ſie albern. Soll etwa der Advokat, der eine ſchlechte Sache zu vertheidigen, der den Prozeß eines Schurken zu fuͤhren verpflichtet wird, deshalb ein Schurke heißen, weil er alle Segel auf- ſpannt, demjenigen zwiſchen Galgen und Rath vor- beizuhelfen, deſſen Unrecht er ſo klar durchſchaut, wie die Richter? Thut er nicht ſeine verdammte Schuldig-

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/116>, abgerufen am 27.11.2024.