Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

seinem aufmerksamen Zuhörer im kürzesten Zeitraum
das klarste Bild von sich selbst; mit so festen Zügen
entworfen und mit so psychologischer Wahrheit aus-
gemalt, daß der Schauspieler vollkommen befriediget
schien und ihm mehrfach beistimmend und lobend zu-
nickte. Als der Erzähler bis auf den gegenwärtigen
Zeitpunkt gediehen war, fuhr er fort: Gestern sah
ich Sie auf der Bühne. Seit gestern Abend fühlt' ich
das Drückende meiner Lage mehr als sonst, ohne
doch zu wissen, was mir eigentlich fehle, ohne mir
über meine wachsende Mißstimmung deutliche Rechen-
schaft ablegen zu können. Die Abreise meiner Freun-
din hat mein Unbehagen noch gesteigert. Und aus
der trostlosen Niedergeschlagenheit in die ich mich ver-
senkt sah, ist nun plötzlich, wie ein Lichtstrahl von
Oben, die Hoffnung über mich gekommen, ich könnte
Hülfe finden in Ausübung der herrlichen Kunst, deren
Meister Sie sind.

"Also mit einem Wort: Schauspieler wollen
Sie werden? Ob ich mir's nicht gedacht habe! Mensch,
Sie sind verrückt. Nach dem Sie es durch ungeheure
Anstrengung so weit brachten, sich in Jhrem Gewerbe
Bahn zu machen, wo Sie einer einträglichen Stellung
entgegengeh'n, wollen Sie umsatteln, ein anderes

ſeinem aufmerkſamen Zuhoͤrer im kuͤrzeſten Zeitraum
das klarſte Bild von ſich ſelbſt; mit ſo feſten Zuͤgen
entworfen und mit ſo pſychologiſcher Wahrheit aus-
gemalt, daß der Schauſpieler vollkommen befriediget
ſchien und ihm mehrfach beiſtimmend und lobend zu-
nickte. Als der Erzaͤhler bis auf den gegenwaͤrtigen
Zeitpunkt gediehen war, fuhr er fort: Geſtern ſah
ich Sie auf der Buͤhne. Seit geſtern Abend fuͤhlt’ ich
das Druͤckende meiner Lage mehr als ſonſt, ohne
doch zu wiſſen, was mir eigentlich fehle, ohne mir
uͤber meine wachſende Mißſtimmung deutliche Rechen-
ſchaft ablegen zu koͤnnen. Die Abreiſe meiner Freun-
din hat mein Unbehagen noch geſteigert. Und aus
der troſtloſen Niedergeſchlagenheit in die ich mich ver-
ſenkt ſah, iſt nun ploͤtzlich, wie ein Lichtſtrahl von
Oben, die Hoffnung uͤber mich gekommen, ich koͤnnte
Huͤlfe finden in Ausuͤbung der herrlichen Kunſt, deren
Meiſter Sie ſind.

„Alſo mit einem Wort: Schauſpieler wollen
Sie werden? Ob ich mir’s nicht gedacht habe! Menſch,
Sie ſind verruͤckt. Nach dem Sie es durch ungeheure
Anſtrengung ſo weit brachten, ſich in Jhrem Gewerbe
Bahn zu machen, wo Sie einer eintraͤglichen Stellung
entgegengeh’n, wollen Sie umſatteln, ein anderes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="102"/>
&#x017F;einem aufmerk&#x017F;amen Zuho&#x0364;rer im ku&#x0364;rze&#x017F;ten Zeitraum<lb/>
das klar&#x017F;te Bild von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t; mit &#x017F;o fe&#x017F;ten Zu&#x0364;gen<lb/>
entworfen und mit &#x017F;o p&#x017F;ychologi&#x017F;cher Wahrheit aus-<lb/>
gemalt, daß der Schau&#x017F;pieler vollkommen befriediget<lb/>
&#x017F;chien und ihm mehrfach bei&#x017F;timmend und lobend zu-<lb/>
nickte. Als der Erza&#x0364;hler bis auf den gegenwa&#x0364;rtigen<lb/>
Zeitpunkt gediehen war, fuhr er fort: Ge&#x017F;tern &#x017F;ah<lb/>
ich Sie auf der Bu&#x0364;hne. Seit ge&#x017F;tern Abend fu&#x0364;hlt&#x2019; ich<lb/>
das Dru&#x0364;ckende meiner Lage mehr als &#x017F;on&#x017F;t, ohne<lb/>
doch zu wi&#x017F;&#x017F;en, was mir eigentlich fehle, ohne mir<lb/>
u&#x0364;ber meine wach&#x017F;ende Miß&#x017F;timmung deutliche Rechen-<lb/>
&#x017F;chaft ablegen zu ko&#x0364;nnen. Die Abrei&#x017F;e meiner Freun-<lb/>
din hat mein Unbehagen noch ge&#x017F;teigert. Und aus<lb/>
der tro&#x017F;tlo&#x017F;en Niederge&#x017F;chlagenheit in die ich mich ver-<lb/>
&#x017F;enkt &#x017F;ah, i&#x017F;t nun plo&#x0364;tzlich, wie ein Licht&#x017F;trahl von<lb/>
Oben, die Hoffnung u&#x0364;ber mich gekommen, ich ko&#x0364;nnte<lb/>
Hu&#x0364;lfe finden in Ausu&#x0364;bung der herrlichen Kun&#x017F;t, deren<lb/>
Mei&#x017F;ter Sie &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Al&#x017F;o mit einem Wort: Schau&#x017F;pieler wollen<lb/>
Sie werden? Ob ich mir&#x2019;s nicht gedacht habe! Men&#x017F;ch,<lb/>
Sie &#x017F;ind verru&#x0364;ckt. Nach dem Sie es durch ungeheure<lb/>
An&#x017F;trengung &#x017F;o weit brachten, &#x017F;ich in Jhrem Gewerbe<lb/>
Bahn zu machen, wo Sie einer eintra&#x0364;glichen Stellung<lb/>
entgegengeh&#x2019;n, wollen Sie um&#x017F;atteln, ein anderes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0104] ſeinem aufmerkſamen Zuhoͤrer im kuͤrzeſten Zeitraum das klarſte Bild von ſich ſelbſt; mit ſo feſten Zuͤgen entworfen und mit ſo pſychologiſcher Wahrheit aus- gemalt, daß der Schauſpieler vollkommen befriediget ſchien und ihm mehrfach beiſtimmend und lobend zu- nickte. Als der Erzaͤhler bis auf den gegenwaͤrtigen Zeitpunkt gediehen war, fuhr er fort: Geſtern ſah ich Sie auf der Buͤhne. Seit geſtern Abend fuͤhlt’ ich das Druͤckende meiner Lage mehr als ſonſt, ohne doch zu wiſſen, was mir eigentlich fehle, ohne mir uͤber meine wachſende Mißſtimmung deutliche Rechen- ſchaft ablegen zu koͤnnen. Die Abreiſe meiner Freun- din hat mein Unbehagen noch geſteigert. Und aus der troſtloſen Niedergeſchlagenheit in die ich mich ver- ſenkt ſah, iſt nun ploͤtzlich, wie ein Lichtſtrahl von Oben, die Hoffnung uͤber mich gekommen, ich koͤnnte Huͤlfe finden in Ausuͤbung der herrlichen Kunſt, deren Meiſter Sie ſind. „Alſo mit einem Wort: Schauſpieler wollen Sie werden? Ob ich mir’s nicht gedacht habe! Menſch, Sie ſind verruͤckt. Nach dem Sie es durch ungeheure Anſtrengung ſo weit brachten, ſich in Jhrem Gewerbe Bahn zu machen, wo Sie einer eintraͤglichen Stellung entgegengeh’n, wollen Sie umſatteln, ein anderes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/104
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/104>, abgerufen am 27.11.2024.